Kulturen, Identitäten, Dialoge, Islam.

Identität - oder Identitäten - sind politisch wirkungsmächtig, obwohl sie nur in unseren Köpfen existieren. Sie sind nicht an sich problematisch, ganz im Gegenteil: Mit sich selbst identisch zu sein ist eine sehr gesunde Sache, und das Bewusstsein der eigenen Identität ist notwendig, um sich in der Welt überhaupt zurechtzufinden. Zu wissen, wer ich bin, ist sicher nichts Schlechtes. Dabei ist “Identität” niemals homogen, sondern immer vielfältig, mehrdimensional, und sogar widersprüchlich. Erst das Zusammenfügen der Gender-basierten Identität mit einer beruflichen, altersbestimmten, verwandtschaftlichen, sprachlichen, ethnischen, religiösen, und anderen Teilidentitäten ergibt, wer eine Person tatsächlich ist. In gewissen Sinne ist “Identität” auch keine Eigenschaft oder Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess der Aushandlung und Ausbalancierung sich überlappender Identitäten. Für wen die eigene berufliche Identität als Lehrer oder Schreiner besonders wichtig ist, der oder die wird neu über sich nachdenken müssen, wenn er/sie arbeitslos wird.

Politische Identitäten im engeren Sinne - z.B. sprachliche, ethnische, nationale, oder religiöse - stehen also nicht allein, sind auch nicht unbedingt von besonderer Bedeutung, sondern stellen eine Dimension neben anderen bei der Identitätsproduktion dar. Ob ich deutsch, englisch, türkisch oder sonst etwas spreche, kann für meine Identitätsbildung nebensächlich oder ganz entscheidend sein, wie auch die Frage ob ich Katholik oder Protestant, Sunnit oder Schiit bin. Die entscheidende Frage ist deshalb nicht, ob nationale oder religiöse Identitäten wichtig sind, sondern unter welchen Bedingungen sie das werden, und wann nicht. Und, damit verbunden, wie sich dieses (beispielsweise) Deutsch-sein, Muslimisch-sein verändert oder gar deformiert, wenn man ihm plötzlich eine viel höhere oder ganz andere Bedeutung beimisst. Gerade in individuellen oder gesellschaftlichen Krisensituationen oder Umbrüchen kommt es häufig zu solchen Umwertungen eigener Identität.

Solche Erwägungen gelten auch für den christlichen, buddhistischen oder islamischen Extremismus, der oft aus chronischen oder akuten gesellschaftlichen Defiziten oder Krisen entspringt. Dabei ist nicht immer klar, wie “religiös” ein solcher religiöser Extremismus wirklich ist, und in welchem Maße er statt dessen eine politische Ideologie in religiösem Gewand darstellt - oder wie beides verknüpft ist. Denken wir daran: “Not everybody talking about heaven is actually going there.”

Die Analyse - statt nur schematische Verurteilung - ist deshalb von entscheidender Bedeutung dabei, den destruktiven Elementen religiösen Extremismus entgegenzutreten. Auch muss ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob und wie ein “interkultureller Dialog” Beiträge zur Konflikt- und Gewaltvermeidung leisten kann, oder ob ihn das überfordert.