Jochen Hippler

Terrorismus und die Chancen und Grenzen von Entwicklungspolitik

 

Nach den Anschlägen des 11. September 2001 bestimmte die Diskussion um den internationalen Terrorismus die globale Politikdebatte – zumindest, bis durch den Krieg gegen den Irak andere Fragen ins Zentrum rückten. Aber selbst dieser Krieg wurde ja von seinen Protagonisten in Washington als Teil des Kampfes gegen den Terror annonciert. Die Diskussion um den – insbesondere islamisch geprägten – Terrorismus  erwies sich als politisch hoch komplex, da in ihr sehr unterschiedliche Diskursebenen zu beobachten waren: einmal die Problemebene, wie denn der internationale Terrorismus am besten bekämpft werden könne; dann die Verknüpfung der Terrorismusfrage mit einer „Neuordnung“ oder stärkeren imperialen Durchdringung des Nahen und Mittleren Ostens; die damit verbundene Frage konkreter Kriegführung gegen Länder wie Afghanistan und den Irak (perspektivisch möglicherweise auch weitere); die Frage, ob ein selbstdefinierter „Kriegszustand“ der USA Völkerrechtsbrüche und eine Marginalisierung der UNO und eine Nationale Sicherheitsdoktrin der „präemptiven Selbstverteidigung“ rechtfertigen könnte; sowie schließlich der Verdacht, daß das Terrorismusproblem insgesamt von verschiedenen Regierungen auch zum Vorwand anderer Politiken genommen wurde, nicht allein durch Washington, sondern auch durch Rußland (Tschetschenien), Israel (Palästina) und zahlreiche andere, von Usbekistan bis China und Indien.

Die häufige Vermischung dieser Ebenen führte dazu, daß die Diskussion um eine wirksame Terrorismusbekämpfung und –Prävention häufig eher diffus oder taktisch erfolgte, da unterschiedliche offen und verdeckte Agenden miteinander im Konflikt liegen.

Zugleich hat die Frage der Terrorismusbekämpfung aufgrund ihrer politischen und emotionalen Bedeutung nicht selten dazu geführt, daß auch bürokratische und administrative Erwägungen und Interessen in neuer Form thematisiert wurden: der Kampf um Kompetenzen, Haushaltsmittel und Personal wird seit dem 11. September auch in eine Sprache der Terrorbekämpfung gekleidet – was dazu führen kann, daß alte Politikfelder nun ein neues Etikett erhalten, neue Maßnahmen unternommen werden, um im Politikfeld Terrorbekämpfung präsent zu sein und so die eigene Position angesichts knapper Haushaltsmittel zu stärken oder durch symbolische (aber oft nutzlose) Maßnahmen außenpolitischen Schaden abzuwenden (etwa der Einsatz der Bundesmarine am Horn von Afrika, oder der Einsatz von ABC-Spürpanzern in Kuwait).

Wenn wir hier die taktischen oder instrumentalisierenden Aspekte des „Krieges gegen den Terror“ beiseite lassen  und uns auf die Frage konzentrieren, ob und ggf. welche Beiträge die Entwicklungspolitik zu einer Bekämpfung des Terrorismus leisten kann, stellt sich zuerst das Problem einer Bestimmung der Ursachen von Terrorismus. Wenn die Entwicklungspolitik einen Beitrag zu leisten vermag, dann ja offensichtlich nicht bezogen auf die kriminalistischen oder repressiven Aspekte der politischen Gewalt und des Terrorismus (so wichtig diese auch sein mögen), sondern im Sinne einer Beeinflussung seiner Rahmen-, Entstehungs- und Reproduktionsbedingungen. Hier gilt es allerdings vor kurzfristigen Schlussfolgerungen zu warnen. Man hört immer wieder, dass etwa Armut und Demokratiemangel für den Terrorismus verantwortlich seien, und daher die klassischen Instrumente der EZ (etwa in der Armutsbekämpfung) automatisch und selbstverständlich einen Beitrag zur Terrorprävention leisteten. Solche Thesen mögen plausibel und taktisch nützlich sein, wenn es um Haushaltsverhandlungen geht. Aber sie greifen doch zu kurz.

 

Ursachen von Terrorismus

Die Ursachen des Terrorismus sind offensichtlich vielfältig und komplex.  Terrorismus an sich ist keine attraktive politische Option, die sich immer anböte oder von breiteren Kreisen leichtfertig gewählt würde. Dazu sind die Nachteile zu groß: er ist oft mit hohem persönlichen Risiko verbunden, wird in der Regel von den meisten Menschen (auch den angeblichen „Nutznießern“) abgelehnt, erfordert (ab einem bestimmten Niveau der Planung und Organisation) signifikante Geldmittel und Infrastruktur, und der Ausstieg aus einer terroristischen Karriere ist oft schwierig oder unmöglich. Dies alles gilt für den nicht-staatlichen Terrorismus in noch stärkerem Maße als für den staatlichen.

Eine notwendige – aber nicht hinreichende – Grundvoraussetzung des Terrorismus besteht meist in einer allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Dauerkrise. Ohne einschneidende Krisenerfahrung wird die Schwelle zum Terrorismus oft nicht oder nur punktuell überschritten, weil er als „zu radikal“ empfunden wird. Dabei bedeutet „Krise“ aber nicht unbedingt das Vorhandensein bestimmter objektivierbarer Faktoren (etwa wirtschaftlicher Art, also einen bestimmten Prozentsatz an Arbeitslosigkeit oder Inflation, oder ein bestimmtes Maß an Repression), sondern ist ein oft subjektiver Faktor: es geht also um die Wahrnehmung, das Erleben einer Krise, nicht die bloße Verschlechterung objektiver Daten.

 

Armut.

Häufig wird Armut als eine zentrale Ursache politischer Gewalt allgemein und des Terrorismus insbesondere genannt. Ein solcher Zusammenhang erscheint einleuchtend, ist auch nicht prinzipiell falsch – aber funktioniert doch eher indirekt und über einige Zwischenschritte. Armut an sich ist schrecklich, aber nicht notwendigerweise ein direkter Auslöser oder eine Ursache von Gewalt. Wenn allerdings krasse Armutsunterschiede vorhanden sind, eine Gesellschaft z.B. tief in Arm und Reich gespalten ist, wenn dann diese Armutsdifferenz in erkennbare Bewegung gerät, sich also etwa vermindert oder verbreitert – dann kann die Gewaltwahrscheinlichkeit tatsächlich steigen. Armut kann also einen Leidensdruck produzieren, der unter bestimmten Umständen in gewaltsame Reaktionen umschlagen kann, wie er auch in Apathie, Selbsthass, Kriminalität, Entpolitisierung, individuelle Überlebensstrategie und anderes münden kann, aber nicht muss. Armut ist also ein Rohstoff der Gewaltentwicklung, aber nicht mehr als das. Sie führt nicht automatisch zur Gewalt, und Gewalt kann auch ohne sie zustande kommen. Trotzdem: gerade Veränderungen in der Armutsstruktur (also beispielsweise die Pauperisierung der Mittelschichten, eine massive Vergrößerung oder Verkleinerung des Armutsgefälles, oder die bloße Gefahr bisher privilegierter Gesellschaftssektoren, abzusinken und gegenüber anderen ins Hintertreffen zu geraten) können wichtige Faktoren einer gesellschaftlichen Gewaltdynamik sein. Ob die Gewaltschwelle dabei tatsächlich überschritten wird, ob dies punktuell oder systematisch, spontan oder organisiert, durch kleine Gruppen oder auf Grundlage einer breiten sozialen Bewegung, durch den Staat oder nicht-staatliche Akteure, durch Sachbeschädigung, Bürgerkrieg oder Terrorismus geschieht – das wird von dem konkreten Kontext und Konfliktverlauf, der Geschichte, Kultur, den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen eines Landes abhängen.

 

Demokratiedefizite.

Ähnliches gilt für den Faktor „Demokratie“. Die Verweigerung politischer Freiheits- und Partizipationsrechte und politische Unterdrückung können zu mächtigen Faktoren werden, die politischen Widerstand provozieren und schließlich zu auch gewaltsamem Widerstand führen. Diktatorische Regime haben oft auch weniger Anreize als demokratische Systeme, selbst bei der Konfliktbearbeitung auf Gewaltanwendung zu verzichten. Aber der Zusammenhang zwischen politischer – auch terroristischer – Gewalt und dem Fehlen von Demokratie mag zwar existieren, ist aber kompliziert und indirekt. Es gibt zahlreiche Diktaturen, die mit einem bemerkenswert niedrigen Grad an politischer Gewalt auskommen, während umgekehrt in manchen Demokratien oder Halbdemokratien ein beträchtliches Maß an politischer Gewalt existieren kann – Indien und Pakistan (vor der Machtübernahme General Musharrafs) mit ihren internen ethnischen und religiösen Konflikten und der Konkurrenz um Kaschmir sind Beispiele. Auch Kolumbien, die Türkei oder Indonesien sind Länder mit Wahlen und einem gewissen Grad an Demokratie, aber leiden durchaus unter politischer Gewalt im großen Stil. Demokratische Staaten können Terrorismus hervorbringen, wie die Bundesrepublik Deutschland und Italien in den siebziger Jahren erfahren mussten. Umgekehrt existieren zahlreiche autoritäre Regime oder Diktaturen, die das Gewaltniveau nach innen und außen relativ niedrig halten können. Demokratie und die Geltung demokratischer Freiheitsrechte können tatsächlich gewaltsamer Konfliktaustragung und terroristischer Gewalt vorbeugen, indem sie einmal bestimmte Widerstandsgründe beseitigen, zugleich politische Mechanismen bereitstellen, die eine friedliche Konfliktregulierung erlauben. Dies gilt allerdings nur prinzipiell und langfristig. Kurzfristig können Demokratisierungsprozesse das Gewaltpotential sogar noch erhöhen, indem die repressiven Instrumente der Gewaltvermeidung geschwächt werden, die konsensualen aber noch nicht ausreichend entwickelt sind, oder eine Phase der Instabilität mit massiven Verschiebungen der Machtgleichgewichte eintritt. Trotz dieser Einschränkungen lässt sich feststellen, dass insbesondere in Bezug auf terroristische Gewalt funktionsfähige und entwickelte demokratische Gesellschaften (nicht unbedingt „neue“ Demokratien) tendenziell weniger anfällig sind und – falls Terrorismus doch auftritt – dieser eher isoliert bleibt. Andererseits werden harte Diktaturen, die andere, zivile Mechanismen der Konfliktregulierung nicht zulassen, eher einen terroristischen Widerstand hervorbringen – allerdings fast immer nicht allein wegen ihres diktatorischen Charakters, sondern weil dieser Faktor sich mit anderen, wirtschaftlichen, sozialen, religiösen, politischen verbindet.

 

Wahrnehmung.

Ein wichtiges Element des Entstehens eines Gewaltpotentials besteht im Auseinanderklaffen der Erwartungen und Hoffnungen eines Großteils der Bevölkerung mit den gesellschaftlichen Realitäten. Nicht die Armut der Bevölkerung oder der Mangel an Demokratie an sich sind direkt und automatisch für politische Gewalt verantwortlich – auch extrem arme Gesellschaften können bemerkenswert friedfertig sein. Aber wenn diktatorische Verhältnisse oder Armut von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert werden, weil die Menschen mehr Wohlstand und Freiheit für erstrebenswert und möglich halten – und beides ihnen verweigert wird, dann entsteht ein Konfliktpotential mit möglicher Gewaltkomponente. Ob und in welcher Form und in welchem Maße sich die Gewalt tatsächlich äußern wird, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von den rechtlichen und politischen Möglichkeiten friedlicher Opposition. Gewalt wird um so wahrscheinlicher, je stärker gewaltlose Ausdruckformen von Opposition und gewaltlose Konfliktregelungsmechanismen fehlen oder blockiert sind. In einer ganzen Reihe von Ländern des Nahen und Mittleren Ostens bestehen chronische Krisen der Gesellschaften, die zunehmend durch Hoffnungslosigkeit und Wut geprägt sind. Korrupte und unfähige Regierungen verweigern der eigenen Bevölkerung grundlegende politische Rechte und sind zugleich nicht in der Lage, eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive zu bieten. Massive Jugendarbeitslosigkeit, eine schamlose Spaltung der Gesellschaften zwischen Arm und Reich (letztere oft demonstrativ pro-westlich) und ein starkes Auseinanderklaffen der öffentlichen Werte und Normen einer Gesellschaft und der sozialen Realität sind Warnsignale. Gerade Saudi Arabien stellt ein krasses Beispiel dafür dar, wie die offiziellen – religiösen – Werte und die politischen und persönlichen Realitäten in Konflikt geraten.

 

Terrorquellen und Akteure

Es ist wichtig, die Quellen politischer (incl. terroristischer) Gewalt und deren Akteure zu unterscheiden. Wenn von Unterdrückung, Armut und anderen sozialen Übeln als „Rohstoffe“ politischer Gewalt gesprochen wurde, impliziert das nicht, dass unbedingt die ärmsten und unterdrücktesten Mitglieder einer Gesellschaft zuerst oder vorwiegend zur Gewalt greifen würden. Zwar mag dies punktuell in eher spontanen Gewalt-„Ausbrüchen“ zutreffen, aber organisierte Gewalt – wie auch organisierte Politik – geht weniger von ihnen, meist von Vertretern der Mittel- und seltener der Oberschichten aus. Dies hängt damit zusammen, dass für dauerhafte politische Arbeit ein gewisses Maß an ökonomischer und sozialer Sicherheit vorteilhaft ist – wer nicht weiß, wovon er morgen seine Kinder ernähren soll, wird nur punktuell politisch artikulations- und organisationsfähig. Darüber hinaus braucht effektive politische Organisation Bildungselemente: wer nicht schreiben kann, wer den Umgang mit Telefon, Fax und Computer nicht gewöhnt ist, wer kulturell marginalisiert ist, wird heute kein guter Organisator friedlicher oder gewaltsamer Politik. Die politischen Kader sind deshalb weit überwiegend aus den Mittelschichten und mit – oft akademischen – Bildungselementen versehen. Die Menschen ganz unten auf der sozialen Pyramide sind deshalb nicht bedeutungslos: sie können – unter entsprechenden Bedingungen – politisch kurzfristig mobilisiert werden, sie bilden auch häufig eine wichtige Quelle der Legitimität mittelschichtiger politischer Radikalität, aber sie sind selten die tragenden Kader einer gewaltsam operierenden Bewegung. Dies unterstreicht noch einmal, dass die Verbindung sozialer, ökonomischer und politischer Gewaltursachen zu aktueller, organisierter Gewalt indirekt verläuft: ohne solche Gewaltursachen blieben die Kader politisch irrelevant, aber die Ursachen müssen ohne die Organisationskraft von Kadern aus der Mittelschicht nicht zu aktueller, nachhaltiger Gewalt führen.

 

Politische Gewalt und Terrorismus

Eine präventive Bekämpfung des Terrorismus und seiner Ursachen muss zu ihrer Wirksamkeit diesen als nur eine Ausprägung politischer Gewalt im Allgemeinen begreifen. Während ein kriminalistisch-repressiver Ansatz gerade das Spezifische am Terrorismus (etwa im Unterschied zum Bürgerkrieg oder zur Gewalt spontaner Aufstände) ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit rücken muss, wird eine präventive Herangehensweise dies gerade vermeiden, sondern darauf zielen, die Gewaltschwelle einer Gesellschaft insgesamt zu heben, indem sie den Konflikt- und Problemdruck mindert. Präventive – und entwicklungspolitische – Bemühungen zur Terrorbekämpfung vermögen diesen nicht direkt zu erreichen, sondern nur über eine Reihe von Umwegen: der harte Kern terroristischer Kader ist durch offene Diskurse sehr selten, durch Maßnahmen der EZ kaum jemals zu beeindrucken. Für diese Zielgruppe kommt wenig mehr als Repression in Betracht, die allerdings so angelegt werden sollte, dass sie die Schaffung von „Märtyrern“ vermeidet und so den Terrorismus nicht noch politisch anheizt. (Was auch bedeutet, anti-terroristische Operationen streng rechtsstaatlich und möglichst multilateral anzulegen und jedes „Kriegs“-Geschrei zu vermeiden.)

Die harten Kerne des internationalen Terrorismus sind allerdings politisch nicht das Hauptproblem und nicht der Hauptansatzpunkt. Solange sie politisch isoliert bleiben oder isoliert werden können, solange sie nicht zum als legitim empfundenen Ausdruck breiter Unzufriedenheit und breiten Widerstandes werden, können solche Terrorkader zwar Anschläge verüben und Schaden anrichten, sind aber eher ein polizeiliches denn politisches Problem und auf Dauer durch ein funktionierendes Strafverfolgungssystem dingfest zu machen. Wenn sie allerdings zum Ausdruck und Bestandteil breiten Widerstandes in einer Bevölkerung geworden sind, ist eine repressive Lösung des Terrorismusproblems kaum noch möglich oder wäre evtl. blutiger und schlimmer als dieser selbst.

Der Grundansatz präventiver – und entwicklungspolitischer – Terrorismusbekämpfung muss also auf die primären politischen Zielgruppen, auf die potentielle soziale Basis der terroristischen Kader fokussieren.

 

Entwicklungspolitik als Terrorismusbekämpfung?

Um einen gefährlichen Nexus zwischen Terrorstrukturen und der Bevölkerung aufzubrechen oder – besser noch – sein Zustandekommen zu verhindern, muss der Bevölkerung insgesamt, und insbesondere ihren Teilen, die über organisationsrelevante Bildungselemente und Kulturtechniken verfügen, berechtigte Hoffnung vermittelt werden, dass sie innerhalb eines bestehenden sozio-politischen Systems über eine positive Zukunftsperspektive verfügt. Dabei geht es eben nicht um die schlagartige Beseitigung aller Probleme einer Gesellschaft, sondern darum, deren schrittweise Lösbarkeit deutlich zu machen, zu zeigen, dass die eigene Regierung an Lösungen arbeitet (anstatt sich nur zu bereichern und die Bevölkerung zu unterdrücken) und dass eigene Anstrengungen die Chance bieten, das eigene Leben und dass der eigenen Familie mittelfristig zu verbessern. Eine solche Hoffnung wird auf Dauer aber nur bestehen, wenn in der fraglichen Gesellschaft tatsächlich ernsthafte Schritte zur Lösung der grundlegenden sozialen und politischen Probleme unternommen werden – und eine Enttäuschung solcher Hoffnungen wird die Gewaltschwelle häufig weiter senken. Dies bedeutet, dass drei Faktoren gemeinsam das Blatt zumindest mittelfristig wenden können: a) konkrete, erkennbare Fortschritte in zentralen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen, die von Land zu Land variieren können (z.B.: Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelpreise, Zugang zu Bildung, Landreform, Armutsbekämpfung, etc.); b) strukturelle Reformen im politischen und administrativen Sektor und in der Gesellschaft, die ebenfalls auf den Einzelfall passen müssen (z.B.: Reform des Polizei- und Justizwesens, Bekämpfung der Korruption von Oben nach Unten, Einführung partizipativer Politikelemente, Beendigung ethnischer oder religiöser Bevorzugung oder Benachteiligung bei Stellenbesetzungen, Verminderung der sozialen Polarisierung, etc.), und c) ein neuer politischer Diskurs, der sozial und politisch integriert, sich von früheren Missbräuchen absetzt, und die eingeleiteten Veränderungen ideologisch einbettet, erläutert, und programmatisch in die Zukunft verlängert.

In einem solchen Zusammenhang vermag Entwicklungspolitik Beiträge zu leisten, insbesondere zu den Punkten a) und b). Wirtschaftliche und soziale Fortschritte, verknüpft mit – im development-speak – verbesserten Strukturen von governance können die Gewaltschwelle in einer Gesellschaft anheben, und damit auch das Potential des Terrorismus indirekt vermindern. Die Erfolgsbedingung liegt allerdings offensichtlich darin, dass solche Veränderungen tatsächlich erfolgen, und nicht nur behauptet oder herbeigewünscht werden. Und gerade das ist in vielen Ländern, die über ein hohes Potential politischer Gewalt verfügen, alles andere als selbstverständlich: oft liegen ja eine verkrustete Machtstruktur und inkompetente, räuberische Eliten dem Problemstau in einer Gesellschaft zugrunde – und viele der angesprochenen Reformen und Maßnahmen setzen voraus, deren Macht zu beschneiden oder zu beseitigen. Eine Selbstentmachtung solcher Eliten oder Staatsapparate wird aber nur in Ausnahmefällen zu erreichen sein, was eine wichtige Grenze entwicklungspolitischer Möglichkeiten kennzeichnet. Zugleich sollte daran erinnert werden, dass EZ allein dem Problem der Gewaltverminderung und –Prävention gegenüber ohne geeignete Rahmenbedingungen hilflos bleiben muss. Viele der angesprochenen Fragen setzen die Existenz zumindest tolerabler weltwirtschaftlicher Rahmendaten voraus: brechen bestimmte Rohstoffpreise ein, werden Länder, die vom Export gerade dieser Rohstoffe leben, verstärkten Erschütterungen ausgesetzt, die rein entwicklungspolitisch weder kompensiert noch überwunden werden können. Anderes funktioniert nur, wenn die Maßnahmen der EZ zwischen den Gebern abgestimmt und möglichst integriert sind, und zugleich außen- und sicherheitspolitisch entsprechend eingebettet werden.

Schließlich darf nicht vergessen werden, dass ohne die Lösung zentraler außenpolitischer Konflikte – und hier ist in erster Linie an Palästina zu denken – ein Erfolg im Kampf gegen den internationalen (hier: islamisch geprägten) Terrorismus kaum möglich sein wird. Eine solche Lösung ist aber im Rahmen der EZ nicht möglich, sondern erfordert weitreichende außen –und sicherheitspolitische Maßnahmen, die entwicklungspolitisch nur flankiert und gestärkt werden können.

Fazit

Die Entwicklungspolitik kann prinzipiell sinnvolle und wichtige Beiträge zur Gewaltprävention und – auf diesem Wege – auch zur Bearbeitung der Ursachen von Terrorismus leisten – aber nur bei langem Atem, entsprechenden finanziellen Mitteln, den geeigneten Auftreffbedingungen vor Ort (aufgeklärten und kompetenten staatlichen und gesellschaftlichen Eliten), und nur dann, wenn sie ein Element neben anderen in einem integrierten Gesamtkonzept ist. Auf sich allein gestellt steht die Entwicklungspolitik auf verlorenem Posten, sie wäre überfordert. Denn das Problem von Terrorismus und Gewalt enthält zwar entwicklungspolitische Aspekte, ist aber primär politisch.

 

 

Quelle:

Jochen Hippler
Terrorismus und die Chancen und Grenzen von Entwicklungspolitik,
in: Evangelische Akademie Loccum, Loccumer Protokolle 68/2002, S. 53-62