Jenseits der kulturellen Nebelwand

 

Solange ein Konflikt vorwiegend durch Interessenunterschiede bestimmt wird, lassen sich oft pragmatische Kompromisse finden: Quoten im öffentlichen Dienst, Teilung von Land oder Ressourcen. Wenn die gleichen Konfliktlinien aber zusätzlich als Teil einer Auseinandersetzung unterschiedlicher kultureller Werte interpretiert werden, wird aus dem Interessenkonflikt ein Konflikt um Identität. Was liegt näher, als dann Kultur zur Konfliktlösung heranzuziehen?

 

 

Von Jochen Hippler

  

Spätestens seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und massiv seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 geriet der Zusammenhang von Kultur bzw. kulturellen Faktoren mit potentiell oder tatsächlich gewaltsamen Konflikten verstärkt in die Aufmerksamkeit von Politik und Wissenschaft. Tatsächlich ist diese Diskussion bereits viel älter, auch wenn sie nicht zu jeder Zeit in gleicher Intensität geführt wurde. Als Samuel Huntington 1993 einen viel beachteten Aufsatz zum „Clash of Civilizations“ publizierte (und diesem bald ein gleichnamiges Buch folgen liess), entbrannte eine intensive und globale Diskussion, die schließlich mit dazu beitrug, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2001 auf Vorschlag des damaligen iranischen Präsidenten Mohammad Khatami zum „Jahr des Dialogs der Zivilisationen“ erklärten. Die ausgerechnet in diesem Jahr stattfindenden Terroranschläge al Qaidas am 11. September führten dazu, dass das westlich-muslimische Verhältnis durch diese Verbrechen und den folgenden „Krieg gegen den Terrorismus“ der USA (einschl. Guantanamo und Abu Ghraib), sowie die Kriege in Afghanistan und dem Irak schwer belastet wurde. Zugleich allerdings bemühten sich viele Regierungen und zahlreiche private Akteure um die Verstärkung des westlich-islamischen Dialogs, durch den man sich eine Dämpfung der aktuellen Konflikte und eine Prävention zukünftiger versprach. Er trat allerdings nach ein paar Jahren stärker in den Hintergrund, als die dramatischen Bilder des 11. September zu verblassen begangen.

Allerdings erregte bald ein anderer Aspekt des Zusammenhangs von Kultur und Konflikt stark die öffentliche Aufmerksamkeit. Das Problem fragiler und scheiternder Staaten im Allgemeinen und die Erfahrung begrenzter Stabilisierungserfolge trotz hohem personellen und Mitteleinsatz in Afghanistan (und einige Jahre lang dem Irak) werfen verstärkt die Fragen auf, ob sicherheitspolitische (insbesondere militärische) Politikmittel in solchen Konfliktsituationen nicht überschätzt werden, und ob nicht andere, „weichere“ Instrumente anwendbar und vielleicht erfolgversprechender sind. Dies gilt umso mehr, als viele der fraglichen Konfliktdynamiken eng mit ethnischen oder religiösen – also kulturellen – Faktoren verknüpft sind, die militärisch kaum beeinflussbar sind. Es liegt nahe, dass eine kulturell orientierte Politik in solchen Fällen stärker genutzt werden könnte – womit die europäische Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) an Bedeutung gewönne, die ja ebenfalls ein wichtiger Träger des „Dialogs der Kulturen“ war und weiter sein kann.

 

Zitat: „Viele Konfliktdynamiken sind eng mit ethnischen oder religiösen - also kulturellen - Faktoren verknüpft, die militärisch kaum beeinflussbar sind.“

 

Inner- oder zwischengesellschaftliche Konflikte beruhen meist auf gegensätzlichen Interessen. Wenn Akteure oder Gruppen gleiche oder ähnliche Interessen verfolgen, sind Konflikte wenig wahrscheinlich und selten. Falls sie doch auftreten, etwa durch Mißverständnisse oder aufgrund psychologischer Faktoren, bleiben sie in der Regel von eher kurzer Dauer und sind Lösungen relativ zugänglich, etwa durch Kompromiss. Konflikte tendieren dazu, um so schwerwiegendere Formen anzunehmen und um so schwerer lösbar zu sein, je stärker sich die Interessen der jeweiligen Akteure widersprechen. Interessenskonflikte in Form eines Nullsummenspiels (was eine Seite gewinnt, verliert die andere) sind strukturell offensichtlich besonders problematisch – und wenn sie um existenziell wichtige Güter geführt werden, besonders hartnäckig, bitter, und schwer zu überwinden.

Der Verweis auf unterschiedliche, sich widersprechende oder ausschließende „Interessen“ kann allerdings vorschnell suggerieren, dass die resultierenden Konflikte einen gewissermaßen „objektiven“ Charakter trügen. Zwar mag dies in einigen Extremfällen vorkommen – wenn etwa die eine Seite eine nicht teilbare Ressource zum eigenen Überleben braucht, die auch die andere aus gleichem Grund benötigt – aber in der Regel sind „Interessen“ nicht „objektiv“, sondern sozial vermittelt.

Was meine Interessen sind, ist nicht mit dem Taschenrechner oder Metermaß zu bestimmen, sondern hängt von den eigenen Bedürfnissen, Absichten, Eigenschaften und anderen Faktoren ab, also davon, wer ich bin und was ich im Leben für wichtig oder belanglos halte. Ob und in welchem Maß ich Alkohol, Kunst, Geselligkeit, Ruhe, Geld, Prestige, Sportwagen oder anderes für mein Leben als zentral oder weniger wichtig betrachte, hängt auch davon ab, was für eine Person ich bin, und wie ich mein Leben führen möchte.

Ähnliches gilt auch für kleinere oder größere Gruppen oder ganze Staaten: „Lebensraum im Osten“ war im politisch-gesellschaftlichen Kontext des Deutschlands der dreißiger und der ersten Hälfte der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts offensichtlich ein entscheidendes „nationales Interesse“ – in den sechziger Jahren war dies kein Thema mehr und auch heute ist es keines.

 

Konkurrenz partikularer politischer Kulturen

Anders ausgedrückt: Was „Interessen“ sind, die eine wichtige Rolle beim Entstehen und dem Verlauf von Konflikten haben, ist erstens auch sozial, subjektiv und „kulturell“ bestimmt und zweitens wandelbar. Man könnte formulieren, dass Interessen die gesellschaftliche und damit auch kulturelle Artikulation von sozial ausgehandelten, gemeinsamen Zielen, Absichten und Notwendigkeiten darstellen, die sich aufgrund innergesellschaftlicher Auseinandersetzungen ergeben. Sie sind damit ein Produkt der „politischen Kultur“ einer Gruppe oder Gesellschaft, das sich in der Konkurrenz partikularer politischer Kulturen von Subgruppen herausbildet.

Dabei fließen sicher „objektive“ Interessensdimensionen ein (Exportnotwendigkeiten, Weidegründe, Verminderung des Bevölkerungsdrucks, etc.). Letztlich handelt es sich bei „Interessen“ aber vor allem um die handlungsleitende Artikulation der Perzeption objektiver Reproduktionsnotwendigkeiten, und nicht um diese selbst. Letztere sind selten unmittelbar und unabweisbar, sondern meist pfadabhängig (stellt man eine Ökonomie stärker auf den Binnenmarkt um, reduziert sich die Exportabhängigkeit; eine Verschiebung von extensiver Viehwirtschaft zum Ackerbau lässt den Bedarf nach Weidegrund sinken) und zugleich kulturell definiert. Damit wird die politische Kultur einer Gesellschaft oder Gruppe zum relevanten Faktor der Konfliktgenese - und damit auch der potenziellen Konfliktbearbeitung.

 

Zitat: Die politische Kultur einer Gesellschaft oder Gruppe wird zum relevanten Faktor der Konfliktgenese – und damit auch der potenziellen Konfliktbearbeitung.

 

Zur kulturell geprägten Artikulation „objektiver“ Reproduktionsnotwendigkeiten tritt ein zweiter Aspekt hinzu: Häufig werden bei einer Konfliktgenese nicht einfach nur die eigenen Interessen artikuliert, sondern diese mit der eigenen Identität oder der wahrgenommen einer anderen oder Gegenpartei verknüpft. Nicht mehr allein, was ich will, sondern auch wer ich bin (oder wer die Gegenseite ist oder vorgeblich ist) wird zum Teil des Konflikts. Dabei können Vorurteile oder verzerrte Bilder einer fremden Gruppe eine wesentliche Rolle spielen.

Anders ausgedrückt: Menschen und Gruppen betrachten Konkurrenten um Macht oder Ressourcen oft nicht nur als Konkurrenz, sondern gerade in heterogenen Gesellschaften auch als kulturell oder ethnisch „anders“. Und oft wird diese Andersartigkeit zur Begründung eines Konfliktes genommen, obwohl es vielleicht nur um handfeste Interessen geht, etwa um Land, Jobs oder Einfluss. So können Konflikte „kulturalisiert“ werden – was sie viel schwerer lösbar macht.

Denn solange ein Konflikt vorwiegend durch Interessenunterschiede bestimmt wird, lassen sich oft pragmatische Kompromisse finden: Quoten im öffentlichen Dienst, Teilung von Land oder Ressourcen. Wenn die gleichen Konfliktlinien aber zusätzlich als Teil einer Auseinandersetzung unterschiedlicher kultureller Werte interpretiert werden, wird aus dem Interessenkonflikt ein Konflikt um Identität. Und in diesem Fall werden Kompromisse schwierig: Ihre unterschiedlichen Interessen mögen Gruppen durch Kompromisse beilegen können – aber wenn es um die eigene Identität geht, sind Kompromisse selten. Wer ich bin steht nicht zur Verhandlung, höchstens was ich möchte. Auch wer bereit ist, über eine konfliktdämpfende Abgrenzung von Interessensphären zu sprechen, wird die eigene Identität kaum zur Disposition stellen.

Ein dritter Aspekt kultureller Einflüsse auf Konfliktdynamiken besteht im Zusammenhang von Grenzziehung nach außen und Mobilisierung nach innen. Politische Kultur, insbesondere politische Identitäten, können zur Ressource politischer Akteure werden, allerdings dabei auch ein gewisses Eigenleben gewinnen, das unter ungünstigen Umständen außer Kontrolle geraten mag. Politische Identitäten, darunter auch Ethnizität im weiten Sinne (also unter Einbeziehung nationaler, religiöser oder tribaler Elemente) sind in der Regel weniger klar bestimmt und weniger leicht bestimmbar, als von vielen Akteuren behauptet und von vielen Beobachtern angenommen wird.

 

Zitat: „Wer ich bin steht nicht zur Verhandlung, höchstens was ich möchte. Auch wer bereit ist, über eine konfliktdämpfende Abgrenzung von Interessensphären zu sprechen, wird die eigene Identität kaum zur Disposition stellen.“

 

Gerade ihre Unbestimmtheit gestattet es allerdings, diese politischen Identitäten als Mittel der Grenzziehung und zur Definition von Ingroup und Outgroup zu nutzen. Sie können dabei integrativ angewandt werden (beispielsweise: alle Muslime sind gleich und bilden eine Gemeinschaft, auch wenn sie zu unterschiedlichen Nationen oder Sprachgruppen gehören), aber auch fragmentierend (etwa: Schiiten sind gar keine wirklichen Muslime, sondern Ketzer). Solche Grenzziehungen treffen auf eine gesellschaftliche Realität, die immer von einer Vielzahl überlappender Identitäten geprägt ist.

So kann man ja zugleich Iraker, Muslim, Sunnit, Kurde, säkular sein, und zusätzlich noch Intellektueller, Mann, Mitglied einer bestimmten Partei, Musiker und Familienvater, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Die Leistung der Bildung personeller Identität besteht nun im Normalfall gerade darin, all diese Eigenschaften und Teilidentitäten zusammenzuführen, Prioritäten zu klären, potenzielle Widersprüche aufzulösen oder zu versöhnen, und wenn möglich zu integrieren. Dies ist eine kreative und „kulturelle“ Aufgabe, die Individuen und Gruppen unterschiedlich gut erfüllen.

Im Kontext von beginnenden oder eskalierenden politisch-sozialen Konflikten, insbesondere wenn diese zu gewaltsamen Austragungsformen neigen, können bestimmte Aspekte von Identität unter Druck geraten, insbesondere solche mit potenziell oder real politischen Implikationen. Wenn beispielsweise Angehörige einer religiösen, nationalen oder ethnischen Gruppe systematischer Verfolgung ausgesetzt sind, gewinnt die Zugehörigkeit (oder Nicht-Zugehörigkeit) zu dieser Gruppe bzw. der entsprechende Teil der eigenen Identität an Bedeutung. Im Extremfall kann es zur Frage von Leben und Tod werden, einer bestimmten Gruppe anzugehören oder nicht (Hutu/Tutsi, Juden/“Arier“).

Die Neudefinition oder Neubewertung von Gruppenzugehörigkeiten verändert die politische Kultur eines Landes grundlegend und ist ein häufiger Bestandteil von Konfliktdynamiken. In Ex-Jugoslawien, dem Irak oder Syrien war die Bedeutung solcher Faktoren für die Eskalation politischer Gewalt deutlich zu beobachten. Sobald in einem solchen Kontext ein gewisses Gewaltniveau überschritten wird, beschleunigen und vertiefen sich die Grenzziehungen und die Frage der ethnischen Identität wird zur Frage persönlicher Sicherheit: Die Bedrohung kommt objektiv oder subjektiv von einer anderen ethnischen Gruppe; Schutz kann nur durch Milizen oder andere Einheiten der „eigenen“ gewährt werden.

 

Zitat: „Sobald ein gewisses Gewaltniveau überschritten wird, wird die Frage der ethnischen Identität wird zur Frage persönlicher Sicherheit: Die Bedrohung kommt objektiv oder subjektiv von einer anderen ethnischen Gruppe.“

 

Das berechtigte oder unberechtigte Gefühl der Bedrohung durch eine „fremde“ Gruppe und die Schutzmöglichkeit durch Organisationen der „eigenen“ bietet Ansatzpunkte der Mobilisierung von politischer Unterstützung, Aktivierung und Rekrutierung durch ethnische Gewaltunternehmer. Hierbei kommt es zur Spaltung einer Gesellschaft in verfeindete und sich wechselseitig bedrohende Großgruppen einerseits, und zu einem wachsenden Homogenisierungs- und Disziplinierungsdruck innerhalb dieser Gruppen andererseits. Die jeweiligen politischen Eliten können die Abgrenzung und Konfrontation nach Außen nutzen, um im Inneren die eigene Macht zu legitimieren, zu stärken und gesellschaftliche Mobilisierung zu generieren und zu instrumentalisieren.

An dieser Stelle bleibt nachzutragen, dass die bisher genannten Aspekte der „politischen Kultur“ alle auf der Ebene der individuellen und kollektiven Identität liegen, also auf einem weiten Kulturbegriff beruhen. Diese Fragen sind aber durchaus mit denen der Kultur im engeren Sinne verbunden. So können Musiker, Historiker, Archäologen, Sprachwissenschaftler und andere Kulturschaffende eine wichtige Rolle bei der Schärfung oder gar Schaffung ethno-nationaler, ethno-religiöser oder anderer politischer Identitäten spielen - etwa durch die Konstruktion oder Vereinheitlichung einer Nationalsprache, die rückwirkende Konstituierung einer „Nationalgeschichte“ oder durch die Postulierung einer Nationalliteratur, nationalen Musik oder Kultur im Allgemeinen.

So werden Kunst und Kultur in den Dienst der Identitätsbildung gestellt, so schaffen oder stärken sie Ansatzpunkte oder Möglichkeiten, sich mit einer sozialen Großgruppe auch emotional zu identifizieren, die zuvor vielleicht in dieser Form gar nicht oder nur eingeschränkt existierte. Dabei kann die Geschichtswissenschaft je nach Kontext, Bedarf und Ausgangssituation reale historische Gemeinsamkeiten herausarbeiten, ideologisch systematisieren und in einen neuen Sinnzusammenhang stellen, oder die national gedachte Gegenwart in die Vergangenheit rückprojizieren und dazu alte Mythen wiederbeleben oder neue schaffen. Die Sicht, sich eine deutsche Nation bruchlos aus und in Fortsetzung der Geschichte der Germanen zu denken und den „Hermann“ der Varusschlacht als quasi-deutschen Freiheitshelden zu verehren, darf als Beispiel gelten. Dichtung, Geschichtswissenschaft, Malerei, Musik und Architektur („Hermannsdenkmal“) übernahmen wichtige Rollen, um aus den zahllosen deutschen Identitäten eine möglichst einheitliche zu formen, die zugleich gegen die „Welschen“ (Römer, Franzosen) gerichtet sein sollte.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts (und oft noch die ersten Jahrzehnte danach) waren gerade in Mittel-, Ost,- und Südosteuropa eine hohe Zeit der kulturell gestützten, nationalen Identitätsbildung. Vergleichbare Prozesse fanden und finden auch auf der Ebene ethnischer Gruppen, religiöser Bewegungen oder größerer tribaler Einheiten statt - sind aber offensichtlich nur eine politisch-historische Option neben anderen, denn viele „Nationen“ oder ethnischen Gruppen gehen im Verlauf ihrer Geschichte völlig in anderen auf. Im Kontext der Stärkung oder Schwächung alter oder neuer politischer Gruppenidentitäten können Kunst und Kultur auch im engeren Sinne zentrale Bedeutung gewinnen – und Konfliktdynamiken beeinflussen. Auch staatliche oder nichtstaatliche Kulturpolitik werden dann konfliktrelevant.

 

Zitat: „Im Kontext der Stärkung oder Schwächung alter oder neuer politischer Gruppenidentitäten können Kunst und Kultur auch im engeren Sinne zentrale Bedeutung gewinnen – und Konfliktdynamiken beeinflussen.“

 

Bisher war explizit oder implizit von innergesellschaftlichen Gruppenkonflikten die Rede. Allerdings kann es auch zwischen Staaten zu kulturell aufgeladenen Konflikten kommen – man denke nur an die frühere „deutsch-französische Erbfeindschaft“, die ja aus angeblich grundlegend unterschiedlichen Mentalitäten, Kultur- und Wertesystemen abgeleitet wurde.

Daneben kommt es auf der Ebene oberhalb oder quer zu einzelnen Nationalstaaten zu kulturell beeinflußten Konflikten. Das kann im regionalen Maßstab der Fall sein, wenn etwa bestimmte kulturelle, ethnische oder andere Identitätsgruppen in mehreren, benachbarten Ländern leben (Kurden in der Türkei, Iran, Irak, Syrien) und die jeweiligen Konflikte direkt oder indirekt verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen.

Etwas anders gelagert sind die Konfliktpotenziale, wenn solche Gruppen in anderen, auch weiter entfernten, Diasporagemeinden leben (türkische und kurdische Migranten in Deutschland, nordafrikanische in Frankreich). Wenn Diasporagemeinschaften im Kontext fremder Kulturkreise und Rechtssysteme und bei begrenztem Austausch mit den Ursprungsgesellschaften existieren, kommen zusätzliche Faktoren zur Konfliktdynamik hinzu, die aus dem Grad der Integration oder Nichtintegration in den neuen Heimatländern entspringen. Diese müssen hier allerdings unberücksichtigt bleiben.

Ein Sonderfall des Zusammenhangs von Kultur und Konflikt besteht auf einer sehr allgemeinen Ebene, nämlich bei den anfangs erwähnten Westlich-Islamischen Beziehungen. Zuerst einmal handelt es sich um einer Sonderfall, weil der Begriff „westlich“ kaum positiv zu bestimmen ist und die gemeinte Bevölkerungsgruppe deshalb sehr unbestimmt bleibt.

Außerdem werden dabei zwei schwer vergleichbare Kategorien gegenübergestellt: „Muslime“ sind offensichtlich religiös-kulturell zu bestimmen, sie werden aber nicht den Christen (oder anderen Religionsgemeinschaften, auch nicht Atheisten) gegenübergestellt, sondern einer Großgruppe, die eben nicht religiös (oder anti-religiös), sondern auf unbestimmte Art kulturell bestimmt wird. So wird das Christentum häufig explizit oder implizit „dem Westen“ zugerechnet, aber dies würde Kopten, Maroniten und andere Christen im Nahen Osten und sehr viele Christen etwa in Asien, Afrika und Lateinamerika durch ihre Religionszugehörigkeit dem „Westen“ zuschlagen, was kaum sinnvoll ist. Aber umgekehrt kann die Zugehörigkeit zum Westen auch nicht durch agnostische, säkulare, anti-religiöse oder atheistische Einstellungen gekennzeichnet werden, weil sonst viele US-Bürger oder Europäer ausgegrenzt würden.

Ungeklärt bleibt bei dieser Gegenüberstellung auch, ob die vielen Millionen in Europa und Nordamerika lebenden Muslime nun der „muslimischen“ oder der „westlichen“ Seite dieses Gegensatzpaares zuzuordnen wären. Schließlich fasst der tatsächliche oder vermeintliche Gegensatz von „Westen“ versus „Muslimen“ so große Personengruppen zusammen, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung eingeschlossen wäre. Nach dem World Fact Book der CIA sind mehr als 22 Prozent der Weltbevölkerung Muslime (also über 1,5 Milliarden). Und wenn sich, wie erwähnt, bei weitem nicht alle Christen dem „Westen“ zurechnen lassen, so liegt deren Gesamtzahl doch bei über einem Drittel der Weltbevölkerung. Daneben gebe es, so die CIA, über 9 Prozent nicht-religiöse Menschen auf der Welt und 2 Prozent Atheisten.[1]

 

Ablehnung des Westens

So unbestimmt und kaum klar zu definieren die Bezugsgruppen des „westlich-islamischen Gegensatzes“ auch sein mögen, so wenig lässt sich bestreiten, dass er durchaus reales Konfliktpotential birgt. Aber so wenig sich westliche Politik und militärische Interventionen im Nahen und Mittleren Osten tatsächlich gegen „den Islam“ richten (wie in der Region oft und gern unterstellt wird), sondern in der Regel auf die Wahrnehmung konkreter Interessen zielen, so wenig sind die muslimisch geprägten Gesellschaften von einer pauschalen Ablehnung „des Westens“ oder der westlichen Kultur durchdrungen. Häufig richten sich Widerwille und Widerstand gegen die Vereinigten Staaten und ihre Regierung, bzw. gegen eine als imperial und arrogant wahrgenommene US-Politik, was ja von vielen („westlichen“) Europäern ähnlich gesehen, aber kulturell anders artikuliert wird. Antiamerikanismus wird in Europa selten in religiöse Formeln gekleidet.

Der Kern des westlich-muslimischen Konfliktes scheint in der Verknüpfung mehrerer Faktoren zu bestehen:

·         Dem offensichtlichen Machtungleichgewicht zwischen den nordamerikanischen und westeuropäischen Ländern gegenüber denen des Nahen und Mittleren Ostens;

·         dem Zusammentreffen wirtschaftlicher, politischer und kultureller Krisen in zahlreichen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens;

·         dem Widerspruch zwischen der Bewunderung westlicher „Errungenschaften“ (technischer, ökonomischer, politischer oder kultureller Art) beim gleichzeitigen Bedürfnis nach Ebenbürtigkeit und Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit und Identität;

·         der Erfahrung, dass viele Diktatoren und repressive Regime in der Region von westlichen Regierungen (USA, Frankreich, andere) unterstützt werden und eher deren Interessen, als denen der eigenen Bevölkerung dienen;

·         die direkt oder indirekte Unterstützung der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete durch westliche Regierungen;

·         und eine als imperial und arrogant empfundene Außen- und Militärpolitik westlicher Länder (erneut vor allem der USA) im Nahen und Mittleren Osten, die eine Zeit lang von der Besetzung des Irak symbolisiert wurde.

Der Kern des westlich-muslimischen Konfliktes ist also politisch, wenn er auch auf innergesellschaftlichen Entwicklungskrisen und Defiziten im Nahen und Mittleren Osten mit beruht (Korruption, Diktatur, Stagnation, etc.) und zugleich kulturelle Komponenten enthält (Streben nach kultureller Eigenständigkeit und Identität, die oft auch in religiösen, nicht nur nationalen Kategorien artikuliert werden).

 

Zitat: „Der Kern des westlich-muslimischen Konfliktes ist politisch, wenn er auch auf innergesellschaftlichen Entwicklungskrisen und Defiziten im Nahen und Mittleren Osten mit beruht und zugleich kulturelle Komponenten enthält.“

 

Letztlich entspringt er höchst säkularen und politischen Gründen und Interessendifferenzen: Das westlich-islamische Verhältnis (genauer: das Verhältnis der wichtigsten westlichen Länder zum Nahen und Mittleren Osten) dreht sich vor allem um Fragen der Energieversorgung, der Stabilität und Sicherheit, der Sicherheit Israels, der Migrationsverhinderung nach Europa, und der westlichen Machtoptimierung in der Region. Dabei haben viele Eliten und Herrscher der Region eng mit der westlichen Politik kooperiert, während große Teile der Bevölkerung dies oft ablehnten - was erneut darauf verweist, dass die Bruchlinie nicht einfach zwischen "dem Westen" und "dem Islam" (oder den Muslimen) verläuft.

Wie in vielen interessenbasierten Konflikten wird auch der westlich-muslimische allerdings häufig kulturalisiert und auf diese Weise ideologisiert – und zum „Konflikt der Kulturen“ hochstilisiert. Plötzlich stehen sich dann „islamische“ und „westliche“ Gesellschaften wechselseitig in einem vermeintlichen Abwehrkampf gegenüber, bei dem es nicht mehr primär um ihre Interessen, sondern auch, oder vor allem, um ihre „Werte“ und politisch kulturelle Identität geht. Das erschwert eine Konfliktlösung und führt zu politischer und ideologischer Verhärtung, die wiederum als Zeichen der eigenen kulturellen Selbstbehauptung präsentiert wird.

Wenn dann dramatische Gewalterfahrungen dies zu bestätigen scheinen (der 11. September und andere Terroranschläge in westlichen Ländern, die Kriege in Afghanistan und dem Irak, Besetzung Palästinas) gewinnt der „Clash of Civilizations“ an Plausibilität. Interessen- und machtpolitisch basierte Konflikte erscheinen als Werte- und Identitätskonflikte – was dazu führt, dass solche kulturellen Konfliktdimensionen auch in der Realität wichtiger werden. So wird unter bestimmten Bedingungen die islamische Religion als sprachlich-kultureller Code zur Artikulation von anti-westlichem Widerstand genutzt.

Hier will und soll der angesprochene „Dialog der Kulturen“ ansetzen. Ihm, soweit er nicht nur auf rhetorischem Beschwörungsfloskeln beschränkt bleibt, muss es darum gehen, der Kulturalisierung und damit Ideologisierung der zugrundeliegenden Auseinandersetzungen entgegenzutreten und die diese auf ihre reale Interessensstruktur und politischen Dimensionen zurückzuführen. Ein Interkultureller Dialog kann in diesem Sinne nicht selbst die Konflikte lösen, da diese nicht primär aus kulturellen Unterschieden oder Praktiken entspringen. Aber er könnte und kann prinzipiell eine wichtige flankierende Rolle spielen, wenn die politischen Konflikte zugleich politisch gelöst werden.

 

Zitat: „Ein Interkultureller Dialog kann nicht selbst die Konflikte lösen, da diese nicht primär aus kulturellen Unterschieden oder Praktiken entspringen. Aber er könnte und kann prinzipiell eine wichtige flankierende Rolle spielen, wenn die politischen Konflikte zugleich politisch gelöst werden.“

 

Ohne dies schwebt er in der Gefahr, zu einer kulturellen Nebelwand zur Verbergung der „harten“ Politik zu werden - indem man rabiate Interessenspolitik betreibt, aber von Religion, „kulturellen Werten“ und „Gemeinsamkeiten“ spricht. Wenn interkulturelle Dialoge aber synchron zur politischen Lösung von Konflikten erfolgen und durch entwicklungspolitische Maßnahmen und ökonomische Kooperation begleitet werden, dann können sie durchaus wertvoll sein und wichtige Beiträge leisten. Ihre Wirkungschance hängt allerdings davon ab, dass sie kein Ersatz für Politik sind, sondern ein Element allgemeiner Konfliktlösung neben anderen.

Vor dem Hintergrund der oben nur kurz anzudeutenden Zusammenhänge zwischen Konflikten und Kultur stellt sich die Frage, ob und ggf. welche Rolle die europäische Auswärtige Kulturpolitik spielen kann oder soll. Gerade der Europäischen Union als Zivilmacht und Nachbar einer instabilen Krisenregion stellt sich hier eine anspruchsvolle Aufgabe. Nicht in Konkurrenz, sondern als koordinierende Ergänzung nationaler auswärtiger Kulturpolitk könnte und sollte sie hier verstärkt aktiv werden - und der noch junge Auswärtige Dienst der Union in besonderem Maße so angelegt werden, dass er dieser Aufgabe gerecht wird. Dabei sollte es eben nicht nur darum gehen, dass die auswärtige Kulturpolitik überhaupt eine wichtige Rolle der europäischen Außenpolitik spielt, sondern dass diese gerade im Sinne eines weiten Kulturbegriffs stärker auf Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung zugeschnitten wird. Die bisher erst zaghaften Ansätze dazu gilt es zu ermutigen und deutlich zu stärken.

Dabei muß zuerst daran erinnert werden, dass diese oft in einem schwierigen Umfeld oder gar in „vermintem Gelände“ betrieben werden muss, besonders in Krisen und Konfliktregionen. In solchen Fällen erfolgt sie unter erschwerten Bedingungen, die ihre Erfolgschancen beeinträchtigen. Potenzielle oder akute Gewaltkonflikte in einer Gesellschaft wirken stark auf die auswärtige Kulturarbeit ein, sie bestimmen zum großen Teil ihre Möglichkeiten und Grenzen. Wenn ein Gewaltkonflikt erst einmal eskaliert ist, kann Auswärtige Kulturpolitik unmöglich werden, weil die Gefährdung des Personals zu groß wäre, und es für eine mittel- oder langfristig zu erhoffende präventive Wirkung dann ohnehin zu spät ist. Auch die dann herrschenden politischen Rahmenbedingungen stellen häufig ein ernstes Hindernis dar. In solchen Fällen den vom Konflikt geprägten Kontext unzureichend zu beachten oder unrealistische Wirkungserwartungen zu hegen, wäre höchst problematisch – die Auswärtige Kulturpolitik muss ihn deshalb ernstnehmen und berücksichtigen.

Aber es griffe zu kurz, das Verhältnis von Auswärtiger Kulturpolitik und Konflikten nur negativ begreifen zu wollen. In vielen Fällen kann sie so angelegt werden, Beiträge zur Konfliktprävention oder Konfliktdämpfung zu leisten. Eine solche Chance setzt allerdings eine entsprechende Konzeption und ein nicht zu hohes Konfliktniveau voraus – und darf nicht durch übertriebene Erwartungen überfordert werden.

Dann kann die europäische und nationale Auswärtige Kulturpolitik eine Chance darstellen und besondere Bedeutung gewinnen. Der klassischen Diplomatie sind ethno-kulturelle Identitäten naturgemäß kaum zugänglich, aber eine kluge Kulturpolitik kann zumindest versuchen, den Charakter der eigenen Identität reflektieren zu helfen, pluralistische Wahrnehmungsmuster einzuüben und insgesamt einer „Kulturalisierung“ von Konflikten entgegenzuwirken.

 

Gefühle ansprechen

Kulturarbeit darf hier sicher nicht überschätzt werden, aber in Verbindung mit anderen Instrumenten der Konfliktbearbeitung kann sie wertvolle Beiträge leisten. Denn durch sie, etwa durch Filme, Theater, Dialogprozesse und gemeinsame künstlerische Aktivitäten von Vertretern unterschiedlicher Identitätsgruppen, vermag es zumindest ansatzweise gelingen, nicht nur an die Eigeninteressen von Menschen zu appellieren, sondern auch deren Gefühle und Identitäten anzusprechen und den Zusammenhang beider zu reflektieren. Filme aus den Konfliktkontexten Palästina /Israel und Indien/ Pakistan sind dafür gute Beispiele: Der Film „Das Herz von Jenin“ erzählt die Geschichte eines Palästinensers, der die Organe seines getöteten Sohnes an israelische Kinder spendet, der Kurzfilm „Wagah“ greift das Grenzregime zwischen Indien und Pakistan humorvoll auf. In diesen und anderen Fällen haben die europäische und deutsche Auswärtige Kulturpolitik eine positive, fördernde Rolle gespielt.

Nach 2001 wurde im Zuge der außen- und sicherheitspolitischen Reaktion auf die Terrorakte des 11. September der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik eine stärkere und konkretere Rolle bei der Konfliktprävention und -Bearbeitung zugewiesen. Symptomatisch war, dass größere Summen aus den damals in Deutschland beschlossenen „Antiterrormitteln“ in die Auswärtige Kulturpolitik und beispielsweise Dialogprogramme der entsprechenden Mittlerorganisationen flossen.

Deutlich wurde dieser Trend einer stärkeren Einbeziehung der Kulturpolitik in friedens- und sicherheitspolitische Konzepte auch im 2004 publizierten „Aktionsplan Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ der deutschen Bundesregierung. Dort wird festgestellt, dass Krisenprävention über eine wichtige kulturelle Dimension verfüge und dass interkulturelles Verständnis und die Achtung anderer Kulturen entscheidende Voraussetzungen für die Krisenprävention seien. Damit eröffnete sich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ein wichtiges Betätigungsfeld. Dialog und Austausch, aber auch „eine kultursensitive Weitervermittlung der Werte und Instrumente der Krisenprävention“ gehörten dazu, „sowie die Unterstützung von Bildungssystemen, die den gewaltfreien Umgang mit Konflikten fördern und unterschiedliche Perspektiven insbesondere auf zeitgeschichtliche Unterrichtsinhalte zulassen.“

Das Papier nennt unter anderem den Islamdialog des Auswärtigen Amtes, die Beteiligung am Jahr des Dialogs der Kulturen, Aktivitäten des Goethe-Instituts und des Instituts für Auslandsbeziehungen. Daneben wird festgestellt: „Capacity-building-Maßnahmen lokaler Einrichtungen sind fester Bestandteil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. So engagieren sich der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Alexander von Humboldt-Stiftung und die Hochschulrektorenkonferenz für Friedenssicherung und Krisenprävention etwa im Rahmen der internationalen Stabilisierungsbemühungen“ etwa in Südosteuropa und Afghanistan.[2]

Inzwischen scheint es, dass auch auf diesem Feld eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist. Es ist nicht immer klar, ob konzeptionelle Grundaussagen tatsächlich in vollem Umfang ernstgenommen und umgesetzt werden.

So macht das deutsche Auswärtige Amt im neuen Konzept „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung“ vom September 2011 zwar klar, dass es der Auswärtigen Kulturpolitik eine besondere Bedeutung zuweisen möchte und formuliert einen hohen Anspruch. Zu ihren drei übergreifenden Zielen gehöre es demnach, den Frieden zu sichern. Ihr wird bescheinigt, dass sie „Beiträge zur Lösung regionaler und lokaler Konflikte leistet, insbesondere dort, wo sie auf kulturelle, religiöse oder weltanschauliche Gegensätze zurückzuführen sind“. An anderer Stelle formuliert das Papier: „Kulturdialog und Bildungsangebote können wesentliche Elemente für politische und gesellschaftliche Stabilisierung sein. In konfliktgefährdeten Staaten und Gebieten wollen wir noch frühzeitiger als bisher auch mit Kultur- und Bildungsprogrammen akuten Krisen vorbeugen.“[3]

All dies sind zweifellos sinnvolle und bedeutsame Politikziele. Bemerkenswert ist dabei, dass diese zu einem zentralen Aufgabenbereich der Auswärtigen Kulturpolitik gemacht werden – zumindest dem Anspruch nach. Ob dieser Anspruch allerdings eingelöst wird, ist weniger klar. Dies gilt in besonderem Maße für den Islamdialog, der nicht mehr von einem Sonderbeauftragten des Außenministers geführt wird, sondern im normalen Geschäftsverteilungsplan des Auswärtigen Amtes integriert ist. In den letzten Jahren scheint der Nachdruck, mit dem die Auswärtige Kulturpolitik und gerade Dialoganstrengungen gezielt zur Konfliktbearbeitung eingesetzt werden, eher zu sinken. Das ist bedauerlich. Deshalb wären hier europäische Initiativen besonders wünschenswert und nützlich.

Insgesamt werden die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Auswärtigen Kulturpolitik als Instrument der Konfliktprävention und -bearbeitung deutlich. Es liegt auf der Hand, dass diese allein kaum eine Chance haben wird, festgefahrene Konflikte innerhalb oder zwischen Staaten und Gesellschaften – wie im Nahen Osten, in Afghanistan oder zwischen Indien und Pakistan – zu überwinden. Dazu sind vor allem politische Lösungsansätze erforderlich, durchaus auch Druck und politische Einflussnahme - durch koordinierte europäische und nationale Anstrengungen. Wenn ein solcher politischer Ansatz aktiv verfolgt wird, kann die Auswärtige Kulturpolitik nützliche und sogar bedeutsame Beiträge leisten, um ihn zu flankieren – wenn solche politischen Lösungen fehlen oder die Akteure sie nicht ernsthaft verfolgen, kann auch die Auswärtige Kulturpolitik dafür keinen Ersatz bieten. Für die Auswärtige Kulturpolitik als europäisches Instrument der Krisenprävention und -bearbeitung bieten sich insbesondere zwei Felder an: in den internationalen Beziehungen die Intensivierung und Neuausrichtung der Dialoge mit der islamischen Welt, um den noch populären Vorstellungen eines „clash of civilizations“ entgegenzuarbeiten; dazu haben sich im Zuges des "Arabischen Frühlings" neue Möglichkeiten, aber auch zusätzliche Notwendigkeiten ergeben. Daneben sollte Europa verstärkt in heterogenen Gesellschaften die Stärkung pluralistischer Umgangsformen fördern und sich bemühen, der Kulturalisierung von Konflikten vorzubeugen. In diesen Feldern wäre es zu wünschen, dass Deutschland und Europa mit neuem Schwung versuchen, die eigenen Ansprüche auch tatsächlich mit Leben zu erfüllen.

 

 

Anmerkungen

 [1] US Central Intelligence Agency, CIA World Fact Book, online: www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/xx.html

[2] Die Bundesregierung, Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, Berlin, 12. Mai 2004, S. 48, 49

[3] Auswärtiges Amt, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung - Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten, Berlin, September 2011 (online: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/595030/publicationFile/161962/AKBP-Konzeption-2011.pdf), S. 3, 11

 

 

 

Quelle:

Jochen Hippler
Jenseits der kulturellen Nebelwand
(Kultur, Auswärtige Kulturpolitik und Konflikte - Ein kurzer Überblick)
in: Kulturreport - EUNIC-Jahrbuch 2012/2013: Kultur und Konflikt - Herausforderungen für Europas Außenpolitik, 2013, pp. 10-22