Jochen Hippler

Ein Elefant namens Monica -
Feindbild Globalisierung. Die Angst vor der Kulturellen Vereinnahmung

  

Wenn Dorfjungen in Sri Lanka ausgerechnet die berühmteste Praktikantin der Welt als Namenspatin ihres Reitelefanten wählen, bekommt die These von der Amerikanisierung der Weltkultur eine unvermutet heitere Note. Viel häufiger jedoch dient die amerikanische Kultur dazu, der Wut über politische und soziale Verwerfungen in der Welt einen Namen zu geben.

Wenn heute nach mehr als einem Jahrzehnt der Diskussion, der Forschung und des Geredes über "Globalisierung" gesprochen wird, liegt der Gegenstand oft noch immer im Nebel. Symptome werden aufgezählt, andere Begriffe aufeinandergetürmt, historische Exkurse begonnen und zurückgewiesen, über Finanzströme, Kultur und das Internet räsoniert – aber was Globalisierung im Kern ausmacht, bleibt meist ungeklärt. Die Experten streiten sich, ob sie ein neues Phänomen ist, erst wenige Jahrzehnte alt oder ob sie bereits vor Jahrhunderten begann, gar "immer schon" bestanden habe.

"Globalisierung" bietet eine Fläche, auf die sich die eigenen politischen Befürchtungen und Hoffnungen projizieren lassen: mal als Weg zur Erlösung von fast allen Übeln empfohlen, von Unterentwicklung, Massenarbeitslosigkeit und Armut, mal als das Hauptproblem der Weltpolitik, das so ziemlich alle Übel erst verursache oder verstärke. "Globalisierung" ist oft zur Glaubensfrage verkommen, eine positive oder negative Bekenntnisformel, ein Fähnchen der politischen Debatte, unter dem sich die jeweils Rechtgläubigen versammeln. Die emotionale Aufladung des Globalisierungsbegriffs steht der Analyse des realen Phänomens oft im Weg. Einer der Gründe unserer verbreiteten Schwierigkeiten, mit dem Globalisierungsbegriff umzugehen, besteht in der Vermischung seiner Substanz und seiner Form. Während der Kern von Globalisierung wohl in der Erreichung einer neuen Phase des Kapitalismus besteht, in der "National"-Ökonomien endgültig von globalen Märkten abhängig wurden (mit den entsprechenden politischen und kulturellen Folgen), ist damit über die Ausgestaltung dieses globalen Marktes nichts gesagt: so wie früher Volkswirtschaften entweder wohlfahrtsstaatlich oder als Manchester-Kapitalismus organisiert werden konnten, kann Globalisierung ebenfalls in sehr unterschiedlichem Maße reguliert werden und ebenso unterschiedliche soziale Folgen zeitigen. Die neoliberale Realität weltweiter Deregulierung wird häufig mit "der" Globalisierung verwechselt, obwohl sich Globalisierung natürlich auch stärker sozial abfedern und weltsozialstaatlich organisieren ließe.

 

Kultur auf dem Weltmarkt

Ähnlich sieht es mit der kulturellen Globalisierung aus. Offensichtlich verstärkt sich unter Globalisierungsbedingungen der bestehende Trend weltweiter kultureller Vereinheitlichung. Konsummuster, Popmusik, Film und Fernsehen sind immer weniger lokal geprägt, sondern Teil eines globalen kulturellen Marktes. Damit eng verknüpft ist ein weitreichender Wertewandel, der ebenfalls nicht neu ist, aber schneller und tiefgreifender abläuft als zuvor. Die Schwächung oder Auflösung lokaler Wertemuster und Normen, das fortschreitende Erlöschen lokaler Sprachen und Ethnien verlaufen parallel zur Stärkung neuer, globaler Werteelemente. Wenn man im Inneren Sri Lankas auf einer Elefantenkuh reitet und die Dorfjungen verraten, dass sie diese "Monica Lewinski" getauft haben, dann springt der Unterschied zum Geschmack und der Ausdrucksform ihrer Eltern und Großeltern ins Auge, aber auch der Blick in die Zentren der Weltpolitik.

Dieser kulturelle Umbruch erscheint vielen Beobachtern als eine "Amerikanisierung" der Weltkultur. Es ist von einer "McDonaldisierung" die Rede, ein Begriff, der zugleich eine kulturelle Dominanz der USA und "Kulturlosigkeit" nahe legt. Der Verdacht einer Amerikanisierung der Weltkultur entsteht, weil viele kulturelle Symbole der Globalisierung aus den USA stammen oder als quasi-amerikanische Symbole gelten: Coca Cola, McDonalds, CNN, das Internet, Hollywood, auch Englisch als Weltsprache sind Beispiele. Diese Situation trifft sich mit einer global dominanten Rolle der USA, die durch wirtschaftliche, vor allem aber politische und militärische Überlegenheit gekennzeichnet ist. Die USA haben aufgrund ihres Gewichts auch eine große Rolle bei der Organisierung des Globalisierungsprozesses gespielt und dabei insbesondere geholfen, aktive Deregulierungspolitik durchzusetzen. Die Verknüpfung politischer Überlegenheit mit den Symbolen kultureller Dominanz der USA führt in vielen Ländern zum Verdacht, die Globalisierung sei ein US-Projekt der Vorherrschaft.

Tatsächlich aber liegt der Kern der kulturellen Globalisierung nicht in einer Amerikanisierung der Welt, sondern in der Durchsetzung von Werten, die auf den Markt bezogen sind. Effizienz, Zweckrationalität, Konsumdenken, Kosten-Nutzen-Kalkül, Mobilitäts- und Fortschrittsdenken und andere Werte drängen viele traditionelle Werte zurück, untergraben die Stabilität sozialer Bindungen, alte Gewissheiten. Aber diese neuen Werte sind nicht "amerikanisch", sondern marktbezogen. Die Werte der Globalisierung sind also weitgehend die Werte des Kapitalismus, nicht die eines – noch so mächtigen – Landes. Nur weil die USA im internationalen System eine so starke Stellung einnehmen, lässt sich beides verwechseln. Und was als Amerikanisierung erscheint, ist ohnehin komplizierter und mehrfach gebrochen: Selbst die Elefantenkuh Monica ist ja nicht einfach ein Zeichen der Bewunderung amerikanischer Kultur, sondern ein ironischer Kommentar bizarrer Verwicklungen im Weißen Haus.

Häufig schlägt ein Zurückweisen US-amerikanischer Hegemonie in kulturellen Anti-Amerikanismus um: Unzufriedenheit mit wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen in der Weltwirtschaft, Frustration bezüglich symbolträchtiger Regionalkrisen – etwa Palästina –, Ärger über die Korruption und Inkompetenz lokaler Eliten, die Entfremdung und Hoffnungslosigkeit in vielen Ländern der Dritten Welt, die erwähnte Umwertung bestehender Normen- und Wertesysteme und die Erfahrung der politischen und kulturellen Macht der USA gehen im Bewusstsein vieler Menschen eine explosive Mischung ein: Anti-Globalisierungsreflexe, Kritik an sozialen und politischen Verwerfungen, kulturelle Abwehrhaltungen können sich zu einem antiamerikanischen Einstellungsgemisch verbinden. Dies allerdings ist für eine positive Gestaltung der Globalisierung wie auch für eine angemessene Reaktion auf deren kulturelle Aspekte hinderlich: die sehr unterschiedlichen Problemebenen derartig zu vermischen bedeutet, sie unlösbar werden zu lassen.

Es kommt darauf an, die drängenden realen Probleme der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Globalisierung von deren ideologisch verzerrten Wahrnehmung zu lösen. Das tatsächliche Problem US-amerikanischer Politik in der Weltpolitik ist heikel und schwierig genug – es durch kulturelle und politische Verschwörungstheorien oder Allmachtsphantasien weiter zu überhöhen, erschwert den Umgang mit ihm. Auch die kulturelle Globalisierung bietet Chancen, und sie steckt voller Risiken und Gefahren. Hier mit klarem Blick Konzepte und Antworten auf beides zu entwickeln ist dringend geboten – eine Mystifizierung der Globalisierungsprozesse steht dem nur im Wege.

 

 

in: Zeitschrift für KulturAustausch, Nr. 2 / 2002, Seite 26-27

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