Jochen Hippler

Drogenhandel in den Nord-Süd-Beziehungen

 

Seit einigen Jahren hat die US-Regierung dem Drogenhandel- und Konsum offiziell den Kampf angesagt, sie führt seitdem mit hohem propagandistischem, materiellem und sogar militärischem Aufwand einen "Drogenkrieg". Dieser Krieg wird überwiegend in der Dritten Welt ausgetragen und dort vorzugsweise in Lateinamerika. Hier soll diese US-amerikanische Politik des "Drogenkrieges" - die ein Spezialfall des "Krieges niedriger Intensität" (Low-Intensity Conflict) darstellt,(1) nicht in den Vordergrund der Analyse gestellt werden. Es geht in diesem Aufsatz vielmehr um die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe, insbesondere für Länder der Dritten Welt. Für unsere Zwecke werden wir den Drogenbegriff relativ eng fassen. Von populären Drogen wie Alkohol, Nikotin und Haschisch können wir hier absehen, ebenso von Kunstdrogen, die primär in chemischen Laboratorien der Industrieländer produziert werden, etwa Amphetaminen. Im Folgenden werden wir uns ausschließlich mit den Handelsprodukten Kokain und Heroin beziehungsweise deren Rohstoffen befassen. Diese Produkte sind für den Nord-Süd-Handel von beträchtlicher Relevanz, ihr jährlicher Umsatz dürfte - seriösen Schätzungen zufolge - bei 300 bis 500 Milliarden Dollar liegen.(2)

Die Produktionsgegenden liegen in der Dritten Welt, für Kokain in Peru, Bolivien und Kolumbien, für Heroin in zwei asiatischen Regionen: dem "goldenen Dreieck" der Länder Laos, Burma, Thailand, und dem "goldenen Halbmond" der Länder Afghanistan, Pakistan und Iran. Damit sind zwar nicht alle Anbauländer von Koka und Mohn genannt (der Libanon hat etwa in den letzten Jahren für die Mohn- und Heroinproduktion an Bedeutung gewonnen), aber doch die eindeutigen Schwerpunkte bezeichnet.(3) Die Absatzgebiete liegen demgegenüber sehr überwiegend in den hochentwickelten Industriestaaten Nordamerikas und Westeuropas. Das Spezifische dieses ökonomischen Austauschs besteht offensichtlich in der Tatsache, dass der Handel mit Drogen heute im Wesentlichen illegal ist, wodurch er einerseits mit Strafrisiko belegt wird, andererseits durch die daraus resultierende Angebotsbegrenzung die Profite künstlich (d.h. außerökonomisch) hochgehalten werden. Trotz der Illegalität des Drogenhandels ist es sinnvoll, ihn als multinationales, integriertes Wirtschaftsgeflecht zwischen Nord und Süd zu begreifen, als in vieler Hinsicht "normalen" Fall des Nord-Süd-Handels, der nur durch seinen außergesetzlichen Charakter bestimmte Eigenheiten angenommen hat. Zumindest der Marktmechanismus gilt hier im gleichen Maße wie bei legalen Austauschbeziehungen. Grundlegend und ökonomisch betrachtet ist der Drogenhandel ein normales, kommerzielles Unternehmen wie zahllose andere auch. Ein hochrangiger Beamter der US-Drug Enforcement Administration (DEA) brachte diesen Tatbestand zutreffend auf den Punkt: "The drug dealers are not in the drug business. They are in the profit business".(4)

Zugleich sollten die Tatsachen des globalen Charakters des Drogenhandels und der geographischen Herkunft der Drogen aus Ländern der Dritten Welt nicht darüber hinwegtäuschen, dass das, was wir heute als "Drogenproblem" oder als "Drogenhandel" betrachten, seinen Ursprung in den westlichen Industrieländern hat. Zwar hat der Konsum von Koka in einigen lateinamerikanischen Ländern und der von Mohn in asiatischen durchaus lange Tradition. Die sozialen Effekte dessen dürften allerdings kaum größer gewesen sein, als die des Alkohols in den westlichen Gesellschaften, sie blieben zudem eine regionale Angelegenheit, die kaum negative Effekte auf andere Länder oder Gesellschaften ausübte. Dies änderte sich plötzlich durch intervenierende Einflüsse aus dem Norden.(5) Uchtenhagen formuliert bezüglich Afghanistan: "Das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch, zwischen Aufwand und Ertrag, geriet erst aus den Fugen, als der amerikanische Heroinmarkt einen Mehrbedarf an Rohopium schuf und zusätzlichen Mohnanbau lohnend machte."(6) Es geht aber nicht nur um Nachfrageschaffung. Das Heroin wurde beispielsweise erst Ende des 19ten Jahrhunderts von einem deutschen Chemiker erfunden. Statt des erhofften medizinisch nützlichen Präparates war damit allerdings eine besonders gefährliche und abhängig machende Substanz künstlich erzeugt worden, die für ein Vierteljahrhundert als vorgebliches Medikament von der Bayer AG aus Elberfeld aggressiv, legal und weltweit vermarktet wurde.(7) Zwei Dinge waren das Ergebnis: In den Industriestaaten und darüber hinaus war spätestens zur Zeit des Ersten Weltkrieges ein süchtiger Kundenstamm herangewachsen, der Heroin routinemäßig gegen Husten, Kopfschmerzen und andere Leiden genommen hatte.(8) Zweitens war damit in der Türkei und anderen Ländern des Orients der erste Schritt getan, den Mohn statt zum lokalen Konsum nunmehr als cash crop zur Heroinproduktion für den (noch legalen) Weltmarkt anzubauen. Als Mitte der zwanziger Jahre dann Heroin zunehmend verboten wurde, konnten die sofort entstehenden illegalen Produktionsstätten und Distributionswege sofort auf vorhandene Nachfrage zurückgreifen - nur wenige Jahre bevor in den USA durch die Aufhebung der Prohibition eine traditionelle Einkommensquelle der Mafia und anderer krimineller Organisationen fortfallen würde. Ähnliches gilt für die Kokain-Produktion und den Kokain-Handel. Erst US-amerikanischen Geschäftsleuten und Kriminellen gelang es, aus einer lokalen Sitte in Kolumbien eine großangelegte ökonomische Operation zu machen, die bald einschneidende Auswirkungen sowohl auf die amerikanische, als auch die kolumbianische Gesellschaft haben würde. "Coca, the base for cocaine, traditionally was grown and used by Columbian natives for generations, but it was not produced for export until the late 1960's when a small Cuban-American criminal organisation in Miami began to smuggle the drug into the United States."(9)

Für den Anbau von Koka, die Produktion von Kokapaste und von Kokain in den lateinamerikanischen Schlüsselländern Peru, Bolivien und Kolumbien treffen mehrere Faktoren zusammen. Erstens: Neben den notwendigen klimatischen und geographischen Voraussetzungen(10) für den Koka-Anbau sind natürlich entsprechende soziale und ökonomische Bedingungen unverzichtbar. Bauern in den entsprechenden Ländern müssen bereit oder gezwungen sein, ausgerechnet Koka im größeren Umfang anzubauen, und nicht ein anderes landwirtschaftliches Produkt. Diese Voraussetzung ist in Peru, Bolivien oder Kolumbien offensichtlich häufig gegeben und wird unablässig durch die Mechanismen des Weltmarktes und die sich ständig verschlechternden terms of trade reproduziert. Peruanische Bauern habe oft keine ökonomisch tragbare Alternative als den Kokaanbau - alle anderen Produkte würden nicht einmal die Subsistenz garantieren. Dies gilt um so mehr in Landstrichen, die praktisch über keine Infrastruktur verfügen. Ohne Straßen, Eisenbahnen und sonstige Verkehrsanbindung ist eine Vermarktung normaler landwirtschaftlicher Güter offensichtlich ausgeschlossen. Der Anbau von Koka und die lokale Produktion von Kokapaste ist hier die einzige Lösung: relativ geringe - und daher leicht zu transportierende - Mengen bringen relativ hohe Einkommen, die Drogenmafia sorgt mit einer ganzen Flotte kleiner Flugzeuge und entsprechenden Landepisten selbst für die Infrastruktur, für den Abtransport auch aus den unwegsamsten und unerschlossensten Gegenden. Jeden Tag starten zwischen 5 und 15 Kleinflugzeuge mit jeweils 500 kg Koka oder Kokapaste aus dem unwegsamen peruanischen Grenzgebiet in Richtung der kolumbianischen Kokainlabors.(11) Damit ist das zweite notwendige Element des Welthandels mit Drogen bereits angesprochen: der Sektor zwischen den Produzenten des Rohstoffs in der Dritten Welt einerseits und den Konsumenten des Fertigproduktes in den Industrieländern andererseits. Ohne diese logistischen und ökonomischen Apparate und Strukturen könnte natürlich von einem Welthandel mit Drogen keine Rede sein. Im Einzelnen geht es um folgende Bereiche: Produktion der Drogen, Transport der Vorprodukte und des fertigen Produkts, Distribution auf den Zielmärkten über ein Netz von Groß- und Zwischenhändlern, Abwicklung der finanziellen Aspekte des Geschäfts, von der Geldwäsche großer Mengen Bargelds bis zur Investition im Drogengeschäft selbst oder in legalen Wirtschaftsunternehmen. Schließlich sollten auch Bereiche wie die Entwicklung von mittelfristigen Absatzstrategien (zur Zeit etwa die verstärkte Belieferung von Westeuropa und die Erschließung Osteuropas durch verbilligte "Einführungsangebote" hochwertiger Ware aufgrund des gesättigten US-Marktes) oder die Gewährleistung der "Sicherheit" jeder Stufe der Produktion und Distribution nicht vergessen werden. Dieser komplexe Bereich zwischen dem Anbau der Rohstoffe (Koka und Mohn) und dem Endverbraucher ist ebenso von zentraler Bedeutung wie von abhängigem Charakter. Auch wenn die Drogenunternehmer immer wieder und mit gewissem Erfolg versuchen, Verbraucherbedarf künstlich zu wecken, so liegt doch die Quelle der Funktionsfähigkeit und der bloßen Existenz ihrer Strukturen in den Konsumentenländern. In den Industrieländern liegen die Absatzmärkte. Dabei ist der US-Markt noch immer der mit Abstand größte: ca. 60 % aller in der Welt illegal erzeugten Drogen werden in den USA konsumiert, dort gibt es etwa 6 Millionen regelmäßige Kokainkonsumenten und rund eine halbe Million Heroinabhängige.(12) US-Bürger geben selbst nach sehr zurückhaltenden Schätzungen mindestens doppelt so viel Geld für Drogen aus, wie für Erdöl- und Erdölprodukte.(13) Auf dem Drogenmarkt (insbesondere beim Kokain) zeichnet sich allerdings seit dem Ende der achtziger Jahre eine Umstrukturierung ab, die INTERPOL folgendermaßen zusammenfasst: "With the saturation of the cocaine market in the United States, South American syndicates have lost no time in exporting large shipments to Europe."(14) War bisher der US-Markt primär ein Kokain-Markt, der europäische einer für Heroin, so wird sich dieser Unterschied (und auch der Quantitäten) in Zukunft vermindern. Ablesbar ist das bereits an den Mengen beschlagnahmten Kokains in Europa: sie stiegen von 447 kg im Jahr 1980 auf knapp 6,9 Tonnen 1988.(15) Der wirtschaftliche Hintergrund dieser Umstrukturierung ist das unterschiedliche Preisniveau in den USA und Europa für Kokain, das eine Verlagerung der Lieferungen nach Europa attraktiv erscheinen läßt: so lag 1988 der Kilopreis in den USA bei bloßen 12-18000 US-$, gleichzeitig in Europa bei 27500 bis 115000 $, also etwa beim Fünffachen.(16) In Zukunft werden voraussichtlich in Europa verstärkt beide Drogenströme aufeinanderstoßen: der neue Drang der südamerikanischen Kokainkartelle (Kolumbien, Ecuador, andere), der vorwiegend über Spanien (und z.T. Portugal) nach Europa gelangt, und der eher traditionelle Heroinimport aus Asien. Dieser wiederum stammt zu zwei Dritteln aus Südwestasien (vorwiegend Afghanistan) und wird zum großen Teil über die Türkei und die Balkanroute zu Lande abgewickelt.(17) Ohne eine ökonomisch wirksame Nachfrage nach Drogen in den USA und Europa und die entsprechenden Gewinnspannen wäre eine Unterhaltung des umfangreichen und teuren Apparates der Drogenhändler ausgeschlossen, von seiner profitablen Operation ganz zu schweigen.

 Die umfangreichen Umsätze des globalen Drogenhandels werden zwischen den Produzenten der Rohstoffe, den Bauern in Lateinamerika und Asien, der Drogeninfrastruktur in der Dritten Welt (etwa den Drogenkartellen in Kolumbien) und den Distributionssektoren in den Industrieländern nicht gleichmäßig verteilt. Tatsächlich erzielt die Elite der Drogenkartelle in der Dritten Welt etwa in Kolumbien beträchtliche Profite (nähere Angaben dazu weiter unten), schätzungsweise 90 % oder mehr der Gesamteinnahmen verbleiben allerdings in den Konsumentenländern. Das gleiche Muster wird im Südostasiatischen Heroinhandel deutlich. Dort erhielt der eigentliche Produzent Anfang der achtziger Jahre etwa 300-2000 $ für zehn Kilo Rohopium (woraus ein Kilo Heroin hergestellt werden kann). Nach der Verarbeitung zu Heroin lag der entsprechende Kilopreis noch im Ursprungsland bei zwischen 8000 und 50.000 $. Der Großhandelspreis in den USA betrug damals etwa 250-300.000, der Einzelhandelswert nach Verschnitt auf eine noch 3%ige Reinheit bei 1,8 bis 2,3 Millionen $.(18) Auch beim Welthandel mit illegalen Drogen ergibt sich daher wieder das Muster, dass er von der Nachfrage der Industrieländer induziert wird, die Produktion des Produktes in der Dritten Welt unter ökonomisch abhängigen Bedingungen erfolgt, der überwältigende Teil der Profite in die Industrieländer abfließt bzw verbleibt, und die notwendigen Agenten in der Dritten Welt großzügig bedacht werden. Die Tatsache, dass auch in den Industrieländern hohe soziale Kosten als Folge des Drogenkonsums entstehen, ändert daran nichts, ist nicht einmal spezifisch für den Drogenhandel: auch die Autoindustrie, die Alkohol- und Spirituosenindustrie, die Tabakindustrie verursachen schließlich beträchtliche Kosten, die trotzdem bisher nicht zu einem gut publizierten "Krieg" gegen diese Produkte geführt haben. Die Drogenkartelle und deren gesamte Infrastruktur in der Dritten Welt werden aufgrund ihrer Finanzkraft zu wichtigen ökonomischen Faktoren in ihren Heimatländern. Bagley schätzt allein die Einnahmen des kolumbianischen Medellin-Kartells auf 2-4 Mrd. $ jährlich, insgesamt werden nach seinen Angaben in Kolumbien pro Jahr 2,5 - 3 Mrd. $ an Drogengelder repatriiert. Damit liegen die Drogeneinnahmen in Kolumbien vor den Exporterlösen des Kaffees, des wichtigsten legalen Exportgutes.(19) Andere Angaben weichen davon ab. Lee nimmt an, dass alle lateinamerikanischen Drogenringe 3-5 Mrd. $ im Jahr einnehmen, dass davon nur etwa 1 bis 2 Mrd. § in die drei wichtigsten Länder (Kolumbien, Bolivien, Peru) repatriiert werden. Aber auch eher hält den ökonomischen Einfluss der Drogeninfrastruktur für beträchtlich. Zwei Drittel den bolivianischen Devisenreserven würden von Drogenhändlern kontrolliert, und allein die kolumbianischen Kartelle hätten allein in den USA 12 Mrd. $ angelegt.(20) Zusätzlich fällt natürlich ins Gewicht, dass der Drogenhandel insbesondere in Peru und Bolivien eine beträchtliche Zahl von Arbeitsplätzen schafft. Die Schätzungen liegen hier zwischen 300.000 Arbeitsplätzen in Bolivien und 500.000 bis zu einer Million in Peru.(21)Die ökonomische Bedeutung des Drogenhandels für die betroffenen Dritte-Welt-Länder hat - darauf hat Scott MacDonald hingewiesen - durch die Schuldenkrise und die fallenden Weltmarktpreise für legale Exportprodukte (Rohstoffe) drastisch verstärkt.(22)Neben seiner ökonomischen Dimension verfügt der Drogenhandel auch über eine zutiefst politische. Dies ist einmal aus Gründen der Fall, die aus dem illegalen Charakter des Drogenhandels resultieren, zum anderen aus "externen", dem Drogenhandel selbst nicht immanenten Gründen. Der weltweite Handel mit einem beliebigen Produkt ist eine höchst komplexe und störanfällige Angelegenheit. Dies gilt im besonderen Maße für illegale Geschäfte, die schließlich nicht nur von der "technischen" Seite (Entwicklung und Produktion), den finanziellen, logistischen und anderen Aspekten her abgewickelt werden müssen, sondern zugleich mehr oder weniger klandestinen Charakter tragen und gegen Interventionen der Staatsgewalt (mehrerer Länder) und der Konkurrenz abgesichert werden müssen. Daraus resultiert das Bedürfnis, z.T. die funktionale Notwendigkeit, in den politischen Raum hineinzuwirken.

In den Erzeugerländern lässt sich die ungestörte Produktion und Weiterverarbeitung der Rohstoffe sichern, wenn man beispielsweise mit Behörden, Amtsträgern oder Polizei- und Militärkräften Vereinbarungen getroffen hat. Das wird in der Praxis fast immer unterschiedliche Formen von Korruption und Erpressung einschließen. Unter anderen Umständen wird es sinnvoll sein, sich mit Sektoren der lokalen Bevölkerung zu verbünden - sie etwa finanziell zu unterstützen und gegen Übergriffe von Regierung und Streitkräften zu schützen(23) - oder taktische Bündnisse mit einer einheimischen Guerilla zu schließen. Die politischen Implikationen solcher "politischen" Absicherungsstrategien sind offensichtlich von hoher Brisanz: sie können zur mafiotischen Durchdringung ganzer Gesellschaften führen, insbesondere wenn die Drogenkartelle ein faktisches Monopol an harter Währung verfügen. Lee beschreibt, wie Drogendealer in Kolumbien nicht nur Beamte und Militärs bestechen, sondern sich durch gezielte sozialpolitische Aktivitäten um eine eigenständige soziale Basis bemühen: "Pablo Escobar, for example, built 450-500 two-bedroom cement-block houses in a Medellin slum that has now been renamed "Barrio Pablo Escobar". Reportedly he has built more public housing in Medellin than the government. Escobar also financed many other Medellin projects - sewer repair, educational facilities, clinics, and sports plazas. Carlos Lehder organized and funded a major earthquake relief effort in the city of Popayan and also built a housing project for the poor in his native Armenia, the capital of Quindio department. Gonzalo Rodriguez Gacha donated an outdoor basketball court to his native town of Pacho, Cundinamarca, and repaired the facade of Pachas town hall. Roberto Suarez, the "king of cocaine" in Bolivia, paves streets, restores churches, and donates sewing machines to poor women in his Beni home town of Santa Ana de Yacuma. Suarez reportedly provides college scholarships for needy students in the Beni region."(24) Drogenhändler nehmen hier, in Ergänzung der Korruption staatlichen Personal, selbst quasistaatliche Funktionen wahr und werden zu Schlüsselpersonen in der Machtstruktur ihrer Länder.(25)

Eine ähnliche Tendenz zur "Politisierung" des Drogenhandels besteht auf der nächsthöheren ökonomischen Ebene: etwa dem Transport der Ware aus den Ursprungsländern zu den Absatzmärkten des Nordens und der tatsächlichen Realisierung der Profite im Zuge des "Waschens" der Gelder. Der Transport der Ware - etwa von Afghanistan nach Amsterdam oder Frankfurt, von Kolumbien nach New York - erfordert eine umfangreiche Infrastruktur, die wegen des großen Umfangs des Geschäfts und der Häufigkeit der Transaktionen nicht immer und auf Dauer geheimzuhalten ist. Flugplätze, Hafenanlagen, Schiffe und Flugzeuge selbst, Lagerhallen, Tanks für Flugbenzin und anderes ist ebenso unverzichtbar wie potentiell auffällig und können kaum dauerhaft gegen Entdeckung gesichert werden. Es bietet sich aus Sicht der Vertriebsorganisation (etwa der Drogenkartelle) auch an dieser Stelle an, mit lokalen Behörden geographisch günstig gelegener Staaten entsprechende Abkommen zu vereinbaren: etwa mit den Regierungen der Bahamas und Panamas auf dem Weg von Kolumbien zum US-Markt, oder politischen Kräften im Iran, der Türkei(26) oder dem Libanon für die Heroinlieferungen aus Südwestasien nach Europa. Gehen wir hier kurz auf den Fall der Bahamas ein, da Panamas Verwicklung aufgrund der Konfrontation mit den USA ohnehin bekannter ist. Die Bahamas bestehen aus rund 700 meist unbewohnten Koralleninseln, die bis kurz vor die Küste Floridas reichen, sie sind ideal zum Schmuggeln in die USA geeignet. 1988 wurden 50 bis 60 Prozent der Kokainlieferungen in die USA über die Bahamas abgewickelt.(27) Der frühere Drogenschmuggler Luis Garcia berichtete den US-Behörden von der notwendigen und weitverbreiteten Korruption lokaler Beamter zu Schmuggelzwecken. Er wird in einem Dokument des US-Senats zitiert: "Among those bribed were the chief of the Bahamaian drug task force, whom Garcia said he had on his payroll, and a former chairman of the PLP, the ruling party in the Bahamas. Offical payoffs, Garcia estimated were about 15 percent of the total cost of a marijuana shipment."(28)

Die Kosten für Kokainschmuggel dürften prozentual etwas niedriger liegen. Die Bestechung höchster Regierungsmitglieder - Ministerpräsident Pindling stand offensichtlich dabei nicht abseits - war ein wirksamer Schutz der Dealer gegen Belästigungen durch die Polizei, aber auch vor Abschiebung oder Auslieferung. Es ist kein Wunder, dass der bereits zitierte Bericht des US-Senatsausschusses feststellt: "Few, if any, drug traffickers arrested in the Bahamas are convicted and jailed. The results suggest to many that Government of the Bahamas is not sincere [bez. ihrer vorgeblichen Anti-Drogenpolitik; J.H.] but engaged in a rather cynical exercise to placate the United States."(29)Eine zweite Ebene der Politisierung des Drogenhandels funktioniert genau im umgekehrten Sinne - nicht die Drogenhändler instrumentalisieren die Regierungen oder nicht-staatlichen politischen Akteure, sondern sie werden instrumentalisert(30) Der Punkt lässt sich am klarsten durch zwei Beispiele aus neuerer Zeit verdeutlichen - wenn auch an historischen Exempeln kein Mangel ist.(31)1. Im Zuge des "Krieges niedriger Intensität"(32) gegen Nicaragua setzte die US-Regierung als ein (wenn auch nicht das einzige) Kernstück ihrer Strategie auf die von ihnen gegründeten, finanzierten, bewaffneten und ausgebildeten paramilitärischen Truppen der Contras, sowie auf ein häufig informelles Netzwerk "privater" Personen und Organisationen,(33) deren Verbindung zur US-Regierung (speziell dem Nationalen Sicherheitsrat NSC und der CIA) bewusst im Dunkeln gehalten wurde. Eine Verwicklung zahlreicher Contrafunktionäre und -führer in den Handel und Schmuggel von Kokain war bald ebenso bekannt wie eine von den "privaten" Contra-Unterstützern.(34) Trotzdem ignorierte die US-Regierung diese Beteiligung des Contra-Netzwerk am Kokainschmuggel in die USA, um den verdeckten Krieg gegen Nicaragua nicht politisch zu gefährden. Dabei kam es in der Folge nicht nur zu Situationen, dass in den gleichen Flugzeugen zum gleichen Zeitpunkt Waffen und Drogen transportiert wurden, sondern sogar zur Zahlung amerikanischer Steuergelder an Unternehmen, die als Drogentransporteure bekannt waren.(35) All dies geschah auch noch zu Zeiten, zu dem der "Drogenkrieg" bereits verkündet war. Gleiches gilt natürlich für des Verhältnis der US-Regierung zu Panamas General Manuel Noriega: DEA, CIA und andere Behörden unterstützten ihn lange über den Zeitpunkt hinaus, als seine zentrale Rolle im Kokainnetzwerk bereits bekannt war.(36).

Eine ganz ähnliche Struktur finden wir beim Heroinhandel Südwestasiens. Hier stand seit 1979/80, verstärkt seit 1982/83 eine Variante von Low-Intensity Warfare im Vordergrund, bei der im Wesentlichen die Siebenerallianz der afghanischen Mudjahedin gegen die Regierung in Kabul und die sowjetischen Truppen militärisch unterstützt wurden. Die Weisheit dieser Politik steht hier nicht zur Debatte, aber doch die Tatsache, dass wichtige Teile der Mudjahedinallianz im großen Maßstab in den Heroinhandel investierten. Auf der afghanischen Seite der Grenze zu Pakistan wurden die Bauern zunehmend zum Mohnanbau veranlaßt, wenn nötig durch Gewalt.(37) Das resultierende Opium wurde - und wird - über die pakistanische Grenze geschafft, wo es zu Heroin weiterverarbeitet und verkauft wird. Die Profite kommen entweder den in den Handel verwickelten Mudjahedinführern persönlich zugute, oder werden in Waffen angelegt. Aus dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet wird das Heroin - soweit es nicht über den Iran geleitet wird - per Lastwagen nach Karachi transportiert, nicht selten unter logistischer Assistenz der National Logistic Cell (NLC) des pakistanischen militärischen Geheimdienstes, des ISI.(38) Im Zuge dieser Operation ist der Mohnanbau in Pakistan deutlich zurückgegangen, in Afghanistan sprunghaft gestiegen. Die US-Regierung hat sich auch in diesem Fall dafür entschieden, den Drogenhandel zu ignorieren und möglichst zu bestreiten, um ihre übergeordneten politisch-militärischen Ziele der Unterstützung der Mudjahedin nicht zu gefährden. Dies ist Beobachtern in den USA nicht entgangen: "There is no serious threat to cut off economic and military aid to Pakistan (the world's largest heroin producer) [eine Aussage, die Afghanistans Rolle unterbewertet; J.H.] or to stop supplying Stinger missiles to the mujahidin of Afghanistan (who cultivate opium). In those places, obviously, there are higher priorities than narcotics control."(39) Als Teile der US-Regierung Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre trotzdem besorgte Nachforschungen anstellen wollten, wurden sie dabei "im übergeordneten Interesse" sabotiert.(40) Die US-Regierung ist inzwischen bereit, das Problem zumindest zur Kenntnis zu nehmen, gibt aber noch vor, selbst keine ausreichenden Informationen zu verfügen.

Das Drogenproblem ist ernst, daran kann kein Zweifel bestehen. Es verursacht Abhängigkeit, persönliches Elend und hohe soziale Kosten in den Industrie- wie den Entwicklungsländern. In den Ländern der Dritten Welt wirkt es darüber hinaus korrumpierend nicht nur auf einzelne Beamte, sondern auf ganze Gesellschaften. Zugleich sind die Drogenproduktion und der Handel für manche Regionen der Dritten Welt die einzige Chance des ökonomischen Überlebens, selbst wenn der Löwenanteil der Profite in den Industrieländern verbleibt. Vor diesem Hintergrund ist eine Bekämpfung des Weltdrogenhandels nur aussichtsreich, wenn er an seinen beiden wichtigsten ökonomischen Mechanismen ansetzt: der weiter steigenden Nachfrage in den Industrieländern - die sich in den neunziger Jahren stärker nach West- und Osteuropa verschieben wird - und dem wirtschaftlichen Zwang von Menschen in der Dritten Welt, mangels realistischer Alternative Drogen produzieren oder transportieren zu müssen. Die Zuflucht zum Einsatz militärischer Mittel ist aussichtslos und simplizistisch, ihre Haupteffekte sind politisch public relations und ökonomisch eine Erhöhung der Dogenpreise auf dem Weltmarkt, damit mittelfristig der Profitrate der Dealer. Die politisch inspirierte Tolerierung von Drogenhandel zu vorgeblich höheren Zwecken schließlich trägt zum Ausbau der nötigen Infrastruktur bei, hilft Dealer innenpolitisch verstärkt hoffähig zu machen und diskreditiert jede Drogenbekämpfung als unglaubwürdiges Unterfangen.

 

 

leicht bearbeitet als:

Jochen Hippler
Drogenhandel in den Nord-Süd-Beziehungen,
in: Deutsches Übersee-Institut (Hrsg.), (Redaktion: Joachim Betz, Volker Matthies), Jahrbuch Dritte Welt - 1991, München 1990, S. 48-60

 

 

 

Anmerkungen

(1) zum Low-Intensity Conflict und seiner Bedeutung für die Dritte Welt allgemein siehe: Jochen Hippler, Low-Intensity Warfare - Konzeptionen und Probleme einer US-Strategie für die Dritte Welt (Arbeitspapier Nr. 01 des Instituts für Internationale Politik, Wuppertal 1987); auch: derselbe, Low-Intensity Conflict - Key Strategy for the Third World Theater, in: MERIP Middle East Reports, (New York/Washington), January/Febr. 1987, p. 32 ff; und: derselbe, Krieg im Frieden - US-Strategien für die Dritte Welt: Counterinsurgency und Low-Intensity Conflict, Köln 1986

(2) die Zeitschrift Fortune spricht von bis zu 500 Mrd. $ jährlich (Fortune, 20. Juni 1988), andere Quellen von rund 300 Mrd. $ (beispielsweise INTERPOL; nach: Reuter's, 27.11.1989)

(3) zu Geographie der Drogenproduktion kurz: Ethan A. Nadelmann, International Drug Trafficking and U.S. Foreign Policy, in: The Washington Quarterly, Fall 1985, p. 90

(4) im Gespräch mit dem Autor, im Januar 1990 in Washington

(5) diese Einflüsse begannen lange vor der industriellen Revolution in Europa. Der China aufgezwungene Drogenimport oder massivster Opiumhandel durch Portugiesen und Holländer begannen ja Jahrhunderte früher

(6) Ambros Uchtenhagen, Opium in Afghanistan - Ein Dilemma, ein Projekt, eine "politische Lösung", in: Psychosozial, 4/1980, S 7

(7) siehe: Alfred W. McCoy, The Politics of Heroin in Southeast Asia, New York 1976, S. 2 ff

(8) Alfred McCoy, a.a.O., S. 5

(9) Drugs, Law Enforcement and Foreign Policy - A Report Prepared by the Subcommittee on Terrorism, Narcotics and International Operations, of the Committee on Foreign Relations, U.S. Senate, December 1988, p. 27

(10) zwar kann die Koka-Pfanze auch in einigen anderen Regionen der Dritten Welt angebaut werden, ist dort aber aufgrund der unterschiedlichen natürlichen Bedingungen zur Drogenproduktion ungeeignet

(11) wertvolle Informationen über diesen Zusammenhang erhielt der Autor durch mehrere Gespräche mit Jean-Michel Rodrigo, einem französischen Kenner der peruanischen Drogenszene, in Amsterdam im Juni 1990

(12) Drugs, Law Enforcement and Foreign Policy - A Report Prepared by the Subcommittee on Terrorism, Narcotics and International Operations, of the Committee on Foreign Relations, U.S. Senate, December 1988, p. 8

(13) ebenda, p. 9

(14) International Criminal Police Organization - INTERPOL, Overview of Drug Trafficking in Europe During 1988, Presented by Jose Fernandez Duarte, ICPO-INTERPOL General Secretariat, To the 71st Meeting of the "STAR" Group (Permanent Group on Narcotics), Bruges/Belgium, May 31st and June 1st, 1989, p. 11

(15) ebenda, p. 10

(16) ebenda, p. 13

(17) ebenda, p. 5

(18) zit nach: Richard B. Craig, Narcotics in the Golden Triangle, in: The Washington Quarterly, Fall 1985, p.131

(19) Bruce M. Bagley, Columbia and the War on Drugs, in: Foreign Affairs, Fall 1988, p. 70

(20) Rensselaer W. Lee, Why the U.S. Cannot Stop South American Cocaine, in: Orbis, Fall 1988, p. 502

(21) Rensselaer W. Lee III, The Latin American Drug Connection, in: Foreign Policy, Winter 1985/86, p. 147; Gespräch mit Jean-Michel Rodrigo, Amsterdam, Juni 1990

(22) Scott B. MacDonald, Slaying the Drug Hydra, in: SAIS Review, Winter/Spring 1989, p. 69

(23) dies ist vor allem in Kolumbien und Peru immer wieder und zum Teil mit großem Erfolg versucht worden

(24) Rensselaer W. Lee, in: Orbis, a.a.O., p. 503

(25) zu politischen Aktionen der kolumbianischen Drogenhändler siehe u.a.: Richard B. Craig, Illicit Drug Traffic and U.S.-Latin American Relations, in: The Washington Quarterly, Fall 1985, p. 113

(26) zur Türkei: Hans-Georg Behr, Weltmacht Droge, Düsseldorf 1984, S. 239

(27) Drugs, Law Enforcement and Foreign Policy - A Report Prepared by the Subcommittee on Terrorism, Narcotics and International Operations, of the Committee on Foreign Relations, U.S. Senate, December 1988, p. 14

(28) ebenda, S. 15

(29) ebenda, S. 22; siehe zum Fall der Bahamas auch: Paul Eddy/Hugo Sabogal/Sara Walden, Der Kokainkrieg - Die Kolumbien-Miami Connection, Wien 1989, S. 95ff

(30) was in der Realität natürlich nur selten so klar zu trennen sein wird. Meist handelt es sich um Formen wechselseitiger Instrumentalisierung, da ja beide eher taktische Allianzen zur jeweiligen Interessensmaximierung eingehen.

(31) dazu insbesondere das Buch: Alfred W. McCoy, The Politics of Heroin in Southeast Asia, New York 1976; McCoy weist dies etwa anhand der Entstehung der "French Connection" nach dem Zweiten Weltkrieg nach, anhand der Meos in Laos und von Südvietnam; zur French Connection auch: Hans-Georg Behr, Weltmacht Droge, Düsseldorf 1984, S. 176 ff

(32) siehe Anmerkung 1

(33) dazu: Jochen Hippler, Krieg gegen Nicaragua - Die Entwicklung der Jahre 1984/85, in: derselbe (Hrsg.), Intervention in Mittelamerika und der Karibik, Loseblattsammlung, Wuppertal 1984 ff, S. III/1.1/1 ff

(34) dazu insbesondere der bereits zitierte Senatsbericht: Drugs, Law Enforcement and Foreign Policy - A Report Prepared by the Subcommittee on Terrorism, Narcotics and International Operations, of the Committee on Foreign Relations, U.S. Senate, December 1988, p. 36-61

(35) ebenda, S. 42-47

(36) ebenda, S. 79-97

(37) Hans-Georg Behr, Weltmacht Droge, Düsseldorf 1984, S. 248 f

(38) Lawrence Lifschultz, The Heroin Empire, in: Newsline (Karachi), July 1989, p. 66 ff, 71 ff

(39) Rensselaer W. Lee, Why the U.S. Cannot Stop South American Cocaine, in: Orbis, Fall 1988, p. 499; auch: Ethan A. Nadelmann, International Drug Trafficking and U.S. Foreign Policy, in: The Washington Quarterly, Fall 1985, p. 92

(40) vertrauliche Information einer gutplazierten Quelle in Washington an den Autor