Ukraine-Krieg: Waffenlieferungen und EU-Beitritt

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine liefern zahlreiche NATO-Mitgliedsländer Waffen an die Ukraine, um sich gegen den Angriffskrieg verteidigen zu können. Dies ist legal, legitim, und notwendig, auch wenn die offiziellen Begründungen oft fragwürdig oder gar leicht heuchlerisch daherkommen: Die völkerrechtswidrige und imperialistische Gewalt von Putins Russland wird völlig zu Recht massiv verurteilt. Aber in der Vergangenheit herrschte oft ein erstaunliches Schweigen, wenn Freunde, Verbündete oder NATO Partner das Völkerrecht brachen oder sich imperial verhielten. Die USA (z.B. im Irak), Israel (Besetzung und Landnahme in Palästina) oder Frankreich (Afrikapolitik) sind beispielhaft zu nennen. Aber auch die Türkei oder Saudi Arabien (z.B. Einmarsch in Nordsyrien, bzw. Yemen-Krieg) gehören in diese Reihe. In solchen Fällen ist von Sanktionen selten etwas zu hören, die öffentliche Dauerempörung hält sich regelmäßig in Grenzen. Während des völkerrechtswidrigen und verlogenen Irak-Krieges (wir erinnern uns: angeblich zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen, die es nie gab) wurden den USA sogar erlaubt, deutsches Staatsgebiet als militärische Schaltzentrale und Logistikzentrum zu nutzen. So richtig die klare Verurteilung und Sanktionierung des Aggressors – und die Unterstützung des Aggressionsopfers auch sind, so würde man sich für die Zukunft doch wünschen, das Völkerrecht immer im gleichen Maße ernst zu nehmen, und nicht nur, wenn es politisch opportun erscheint. Recht – auch Völkerrecht – gilt für und gegen alle gleich, oder es hört auf, Recht zu sein.

Trotzdem sind die Waffenlieferungen an die Ukraine richtig und notwendig. Das ebenfalls völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung setzt die Fähigkeit voraus, sich gegen eine Aggression auch verteidigen zu können. Und das Zögern der Bundesregierung (und einiger anderer Länder) schnell die erforderlichen schweren Waffen zu liefern, ist falsch und unsinnig. Faktisch stehen die NATO-Staaten, auch Deutschland, auf der Seite der Ukraine, was in Moskau nicht unbemerkt blieb. Die Waffenlieferungen an die Ukraine nun zu verzögern und zu begrenzen, wird Putin weder besänftigen noch die Aggression stoppen, und auch Deutschland nicht aus der Schusslinie nehmen, wie die Kürzung der Gaslieferungen unterstreichen. Wenn man sich also schon zu Recht auf die Seite des Aggressionsopfers stellt, dann sollte man dies auch konsequent und wirksam tun, und nicht nur symbolisch. Ob man drei oder 12 oder 150 Geschütze liefert macht politisch gegen Moskau kaum einen Unterschied – aber militärisch für die Ukraine durchaus. Sie steht im Donbass und in Luhansk unter schwerstem militärischen Druck durch die Aggressoren, und sie braucht Waffen jetzt, und in großer Zahl. Ihr genug zu liefern um den Krieg und das damit verbundene Leiden in die Länge zu ziehen, aber nicht genug, um ihn erfolgreich führen zu können, ist militärisch und politisch absurd. Die Bundesregierung sollte nun endlich klotzen, statt zu kleckern. Dazu gehört die Einsicht, dass es nicht ausreicht, der Ukraine jetzt endlich eine größere Menge an Großgerät zu liefern, so nötig das ist. Der Krieg wird noch Monate oder Jahre dauern, und ein großer Teil der gelieferten Waffen wird dabei obsolet oder zerstört werden. Nicht nur Russland erleidet beträchtliche Verluste an Menschen und Militärmaterial, sondern auch die Ukraine – die sich das aber wesentlich weniger leisten kann. Wir sollten uns also auf dauerhafte, auf die ganze Kriegszeit berechnete Lieferungen einstellen, um die Verluste an Material immer sofort auszugleichen.

Auf der anderen Seite besteht politisch eine beträchtliche Hilflosigkeit, die allerdings nicht der Bundesregierung oder den NATO-Staaten vorzuwerfen ist. Russland hat sich vor Kriegsbeginn jeder Möglichkeit entzogen, eine diplomatische Lösung anzustreben, und Putin und Herr Lawrow haben systematisch gelogen, bis sich die Balken bogen. Noch direkt vor dem Angriff erklärten sie, an einen solchen nicht einmal zu denken – als schon vielleicht 170.000 Soldaten an den Grenzen bereitstanden, um in die Ukraine einzumarschieren. Auch die Vorwände und Propaganda des Krieges („Entnazifizierung und Demilitarisierung“) sind so absurd, dass selbst Herr Trump neidisch werden könnte. Russland ist weiter davon überzeugt, den Krieg mit militärischen Mitteln für sich entscheiden zu können – da sind Möglichkeiten einer diplomatischen „Verhandlungslösung“ praktisch bei Null. Gelegentliche Telefonate aus Paris oder Berlin schaden nicht, nutzen aber auch nichts, solange die militärische Lage sich für die Ukraine nicht zuvor wesentlich verbessert. Als politisches Werkzeug sind sie irrelevant.

Allerdings unterstützen die EU-Kommission und viele Regierungen (einschließlich die Bundesregierung) eine ukrainische Beitrittsperspektive zur EU. Es handelt sich dabei vor allem um ein politisches Symbol, dass „die Ukraine zu uns gehört“ und dass EU-Europa im Krieg hinter ihr steht. Das ist sehr bedenklich. Die EU befindet sich ohnehin in einer chronischen Krise und ist teilweise kaum noch handlungsfähig. Wer sich mit Ländern wie Ungarn und Polen innerhalb der EU auseinandersetzen muss, die von demokratiefeindlichen Regierungen geführt werden, ist in einer bedauerlichen Situation. Die früheren Erweiterungen der EU waren ein Fehler, da sie die EU noch heterogener und handlungsunfähiger machten. Es wäre ratsam gewesen, die frühere Kern-EU erst stärker zu integrieren und zu einem handlungsfähigen Instrument zusammenwachsen zu lassen, und erst dann neue Kandidaten aufzunehmen, und zu klaren Bedingungen. Heute nutzen vor allem Ungarn und Polen die EU zur Finanzierung ihres innenpolitischen Demokratieabbaus, ohne das die EU über scharfe Waffen verfügte, dies robust zu unterbinden. Ein Club aller europäischer Ländern mag nützlich sein, kann aber nur eine eher lockere Verbindung sein – angesichts der geopolitische Situation (US distanziert sich schrittweise, Russland wird von einem Wiedergänger Zar Peters geführt, China verbindet zunehmend eine ökonomische Machtstellung mit militärischen Drohungen) ist aber eine geschlossene und Handlungsfähige EU von Nöten.

Und hier stellt sich die grundlegende Frage der EU Erwartungen neu. Ein Beitritt der Türkei wurde in der Vergangenheit häufig aus kulturalistischen oder sogar rassistischen Gründen blockiert. Das war skandalös. Aber ein Beitritt der Türkei zur EU hätte diese vermutlich ökonomisch, zumindest aber politisch überfordert. Heute sind wir vermutlich alle froh, dass Herr Erdogan nicht die EU von innen lahmlegen kann, auch wenn er 2002 einmal als demokratischer Reformer angetreten war. Insgesamt sollten Neuaufnahmen in die EU mit großer Skepsis betrachtet werden, bevor diese ihr Haus nicht in Ordnung gebracht hat. Und dies gilt insbesondere für größere Länder, vor allem, wenn deren Beitritt wirtschaftlich teuer und ihre eigene politische Zukunft unsicher und kaum vorhersehbar ist. Deshalb, und nur deshalb, sollte auch eine EU-Aufnahme der Ukraine keine ernsthafte Option sein. Die Ukraine kämpft unter großen Opfern um ihre Existenz – sie braucht dazu unsere Hilfe, sie braucht schnell und verlässlich eine große Menge moderner Großwaffen. Was sich nicht braucht, sind Illusionen über einen EU-Beitritt, die nur enttäuscht werden können. Was soll es auch die Ukraine nützen, wenn die EU sich durch Überdehnung selbst lähmt und zugrunde richtet? Die EU sollte eher kleiner als größer werden, wenn dies für ihre Handlungsfähigkeit erforderlich ist, und um einen zweiten europäischen Club ergänzt werden, in dem alle europäischen Länder willkommen sind.  

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Umbruch, Zeitenwende in Europa und der Weltpolitik?

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Ende der Krise – und Beginn der nächsten: Pakistan