Ende der Krise – und Beginn der nächsten: Pakistan

Nach langem Tauziehen erlebt Pakistan einen neuen Regierungswechsel: Gestern wurde der bisherige Ministerpräsident Imran Khan durch ein Misstrauensvotum abgewählt, heute Shehbaz Sharif (PML-N, Bruder des dreifachen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif) mit knapper Mehrheit zu seinem Nachfolger gewählt.

Das ist zugleich gut und schlecht. Gut, weil damit die irrwitzige Verfassungskrise überwunden ist, die Imran Khan vom Zaun gebrochen hatte, um sich trotz des Verlusts der Mehrheit an der Macht zu halten. Das pakistanische Verfassungsgericht hatte dem in schöner Klarheit einen Riegel vorgeschoben und die verschiedenen Verfahrenstricks mit gutem Grund als verfassungswidrig aufgehoben. Schlecht aber ist es, dass im Zuge der Auseinandersetzung die politische Kultur des Landes noch weiter beschädigt wurde, und zwar auf Schwerste. Allein die fortgesetzten Versuche, sich unter fadenscheinigsten Vorwänden und ohne jede rechtliche Grundlage nach dem Zerfall seiner Koalition an die Macht zu klammern, zeigt die Schwäche demokratischer Kultur in wichtigen Teilen der politischen Elite. Entgegen den in Europa gängigen Mythen gilt dies für die säkularen Akteure nicht weniger als für die religiösen. Zweitens aber hat Imran Khan bei seinem Kampf gegen den Machtverlust vor allem auf eine demagogische Polarisierung der Gesellschaft gesetzt, die nun tiefe Wunden hinterlässt und nicht bald geheilt werden kann. Während er sich selbst als unfehlbare Lichtgestalt inszenierte, die Pakistan in eine leuchtende Zukunft führen würde, erklärte er alle Kräfte und Politiker, die ihm nicht zu folgen gewillt waren, zu Verrätern, Sklaven des Auslands, Staatsfeinden, Dieben und so ziemlich allem, was der Stimmungsmache diente. Da eine rhetorische und emotionalisierte Polarisierung in Pakistan schon lange ein Grundproblem der pakistanischen Politik darstellt, das die demokratischen Instanzen lähmt, ist deren Vertiefung besonders schmerzhaft. Wenn demokratisch gewählte Politiker sich immer wieder wechselseitig zu Schurken und Verrätern erklärten, hat dies oft die Macht des Militärs direkt und indirekt gestärkt. Auch in der aktuellen Krise lassen sich Anzeichen dafür entdecken.

Imran Khan hat sich mit dem Verlust der Macht nicht abgefunden und wird dies auch nicht tun. Er ruft zur Massenmobilisierung seiner Anhänger im ganzen Land auf, um eine Stabilisierung der neuen Regierung zu verhindern. Seine Strategie besteht nun offensichtlich darin, möglichst schnell Neuwahlen zu erzwingen, in der Hoffnung so an die Macht zurückzukehren. Der heutige Massenrücktritt der Abgeordneten seiner Partei aus dem Parlament zielt in diese Richtung. Anstatt über seine überwiegend schwache Regierungsbilanz zu diskutieren, über die Wirtschaftskrise und Inflation, die Einschränkung der Pressefreiheit, will er nun seinen Kampf als Märtyrer gegen eine Bande von Vaterlandsverrätern und Handlangern fremder Mächte ins Zentrum des Wahlkampfes rücken. Armes, gequältes Pakistan.

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