Russlandpolitik und Größenwahn

“Es kann ein bisschen dauern, aber wenn wir mit Wladimir Putin fertig sind, ist er Geschichte.” - Mit diesem klaren Satz beendete Nikolaus Blome gestern eine Kolumne in SPIEGEL ONLINE, die den ebenso klaren Titel trug: “Umgang mit Russland - Regime Change!”. Dem Verfasser gefällt es dabei, so ziemlich alle anderen Leute für Idioten zu halten, deren Positionen (einschließlich die des Bundeskanzlers) er für “lachhaft” hält. In diesem Eifer macht sich der Autor dabei selbst zum Clown, was ich allerdings eher traurig, weniger lustig oder “lachhaft” finde.

Nun, die Kernbotschaft der Kolumne besteht darin, dass die deutsche, europäische und westliche Russlandpolitik angesichts des Ukrainekrieges darin bestehen solle, den russischen Präsidenten Putin zu stürzen. Eigentlich und irgendwie sei dies ohnehin das Ziel (irgendwie auch nicht), und deshalb solle man dies auch klar und öffentlich so benennen.

Nun, es gäbe zum Text und seiner Argumentation einiges anzumerken, aber hier mag es reichen, auf wenige Schlüsselprobleme hinzuweisen, die Herrn Blome entweder entgangen sind oder die er keiner Diskussion für Wert hält.

  1. Der Sturz einer fremden Regierung durch ein drittes Land ist völkerrechtswidrig, unabhängig davon wie abstoßend diese auch ist. Seit dem Dreißigjährigen Krieg hat sich dieses Prinzip politisch, dann ethisch und schließlich völkerrechtlich durchgesetzt, und zwar aus guten Gründen. Es ist inakzeptabel und völkerrechtswidrig, dass Russland die ukrainische Regierung aus pseudohistorischen Gründen stürzen möchte, oder die chinesische die Regierung Taiwans. Und ich möchte auch nicht, dass die chinesische oder russische Regierung auf die Idee kämen, die deutsche oder dänische Regierung zu stürzen - “idealistische” Gründe würden sich sicher irgendwo an den Haaren herbeiziehen lassen. Der Sturz Putins - so sehr ich ihn mir und uns wünschen würde - ist Sache der Russen, nicht der Deutschen oder US-Amerikaner. Ist es kein Problem, gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg einer Regierung vorzugehen - und dabei selbst das Völkerrecht zu brechen? Regime Change von außen ist illegal, Herr Blome. Aber das nur nebenbei, da dies den Autor erkennbar nicht interessiert.

  2. Vielleicht wichtiger: Der Text setzt mehrfach voraus, dass durch die westliche Sanktionspolitik und den militärischen Druck Putin auf jeden Fall gestützt werden wird. In den eingangs zitierten Worten des Autors: “Es kann ein bisschen dauern, aber wenn wir mit Wladimir Putin fertig sind, ist er Geschichte.” Nun, zuerst einmal hätte man sich das eine oder andere Argument dafür gewünscht, warum wir da so sicher sein sollten. Selbst weit schwächere Regime haben trotz aller Versuche es immer wieder geschafft, einem solchen Schicksal zu entgehen. Maduro regiert immer noch Venezuela, Asad in Syrien, und auch die iranische Regierung bleibt an der Macht, trotz aller Sanktionen und einer langen (wenn auch wechselvollen) Politik des Regime Change. Es ist natürlich schön, dass Herr Blome sich so sicher ist, dass “wir” letztlich Herrn Putin stürzen werden - aber seine LeserInnen hätten doch ein Argument verdient, woher er seine Sicherheit bezieht. So riecht es nach einer unbegründeten Allmachtsfantasie, oder anders ausgedrückt, nach Größenwahn.

  3. Schließlich findet es Nikolaus Blome keiner Erwähnung oder gar Diskussion wert, dass in Fällen eines erfolgreichen Regime Change - ja, die gibt es natürlich - die Ergebnisse häufig katastrophal und oft noch schlimmer als die gestürzten Regime waren. Denken wir an den Sturz der Taliban 2001, an den Sturz Saddam Husseins im Irak 2003, oder an den von Muammar Ghaddafi in Libyen 2011. Dabei gilt es einmal zu bedenken, dass in all diesen erfolgreichen Fällen der Erfolg nicht durch Wirtschaftssanktionen erreicht wurde, sondern durch militärische Gewalt, also Krieg (weshalb die Nordkoreanische Diktatur auch noch fest im Sattel sitzt) - was Herr Blome dankenswerterweise für Russland nicht vorschlägt. Zweitens aber kam es in diesen “erfolgreichen” Fällen jeweils zu einem Zusammenbruch des Staates und der Gesellschaft - mit jahrelangen Bürgerkriegen und sehr hohen Opferzahlen. „Erfolgreiche“ Fälle von Regime Change können leicht zum Desaster werden. Wir wollen uns ein solches Szenario bezogen auf Russland besser nicht vorstellen - ein extrem heterogenes Land mit Atomwaffen. Über Regime Change zu schwadronieren und alles andere für “lachhaft” zu halten, ohne solche Probleme überhaupt zu thematisieren, ist ein Witz. Ein schlechter, allerdings. Deshalb möchte man auch sicher nicht lachen - substanzfreie Großmäuligkeit ist einfach nicht lustig.

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